Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Kontroverse um Opernsängerin Anna Netrebkos Auftritt in Zürich sorgt für Zündstoff

Anna Netrebko polarisiert: Ab Sonntag steht die russisch-österreichische Sängerin im Opernhaus Zürich auf der Bühne. Wieder begleiten Kritik und Proteste ihren Auftritt – und die Frage, welchen Platz sie auf westlichen Bühnen hat.

Giuseppe Verdis Oper «La Forza del Destino» spielt mitten im Krieg. Anna Netrebko singt die Rolle der Leonora. Obwohl die Handlung in eine imaginäre Schweiz verlagert ist, denkt man an den Krieg in der Ukraine.

Und an Netrebkos Biografie: etwa daran, dass sie einst Putins Präsidentschaftskandidatur unterstützte, dass sie 2014 mit der grossrussischen Flagge posierte und 2021 ihren Geburtstag im Kreml feierte.

Anna Netrebko in weissem Gewand, im Hintergrund Orchester
Legende: Anna Netrebko feierte am im September 2021 ihren 50. Geburtstag im Moskauer Kremlpalast, mit grosser Gala und Grussworten von Putin. Im März 2022 hat sie erklärt, dass sie mit keinem russischen Führer verbunden sei. Keystone/EPA/YURI KOCHETKOV

Kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine hat sich Netrebko vom Krieg distanziert. Das führte dazu, dass sie in Russland als Verräterin gebrandmarkt wurde. Im Westen trat sie bald wieder auf, aber vielorts hiess es, ihre Distanzierung sei zu vage.

Das findet auch Riccardo Tognetti vom Verein «Helvetia for Ukraine»: «Sie hat sich bis heute weder bei den Ukrainern entschuldigt, noch deutlich gesagt, dass der Kreml die Schuld für diesen Krieg trägt.» Er kritisiert die Entscheidung, Anna Netrebko nach Zürich zu holen und hat einen offenen Brief verfasst.

Die Kontroverse um Anna Netrebko

Box aufklappen Box zuklappen

Anna Netrebko, die hauptsächlich in Wien lebt und neben der russischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft hat, gibt derzeit keine Interviews. Und so müssen weiterhin ihre öffentlichen Äusserungen von 2022 herhalten:

  • Drei Tage nach Russlands Einmarsch in die Ukraine hat Anna Netrebko auf Social Media gepostet: «Ich bin gegen diesen Krieg. Ich bin Russin und ich liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leiden brechen mir momentan das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg endet und die Menschen in Frieden leben können. Darauf hoffe ich und dafür bete ich.» 
  • Ende März 2022 legte sie diese Erklärung nach: «Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden.» (Ausschnitt)
  • Später folgten noch Zeitungsinterviews, und anderem mit «Le Monde», wo sie der Forderung, sich von Putin zu distanzieren, entgegnete: «Ich habe einen russischen Pass, er ist immer noch der Präsident. Ich kann diese Worte nicht öffentlich äussern.»

Mit diesen Äusserungen geriet Anna Netrebko zwischen die Fronten.

Für Russland war eine Linie überschritten: Ihre Konzerte wurden gestrichen und sie wurde von hohen Kremlfiguren als Verräterin gebrandmarkt.

Im Westen liessen einige Opernhäuser wie die Mailänder Scala oder die Philharmonie de Paris Anna Netrebko schon bald wieder auftreten, zu grosser Freude ihrer Fans.

Andere empfanden ihre Distanzierung als halbherzig und nahmen ihr nicht ab, dass sie keiner Partei nahestehe. Die Metropolitan Opera in New York etwa strich sie aus ihren Produktionen und engagiert sie bis heute nicht. Auch das Opernhaus Zürich entschied sich im März 2022 gemeinsam mit Netrebko, die Rolle der Lady Macbeth anders zu besetzten.

Netrebko bleibt umstritten. Letztes Jahr wurde ihrer Rückkehr in die Schweiz der Riegel vorgeschoben: Die Luzerner Regierung stufte sie als «mutmasslich regimetreu» ein, befürchtete Protestaktionen und sagte das geplante Konzert im KKL ab.

Die Kontroversen werden bleiben. Und am Ende sind Veranstalterinnen und Veranstalter und auch das Publikum gezwungen, in diesem Dickicht aus Aussagen, Deutungen und Widersprüchen eine eigene Haltung finden.

Kritik kam auch von der ukrainischen Botschafterin in Bern und von ukrainischen Mitgliedern im Opernchor. Matthias Schulz, Intendant des Opernhauses Zürich, suchte das Gespräch. Anna Netrebko zu engagieren, sei für ihn eine künstlerische Entscheidung gewesen, eine legitime: «Sie profitiert heute nicht mehr vom russischen System und ist seit 2022 nicht mehr in Russland aufgetreten, sie hat sich also klar für die westlichen Bühnen entschieden.»

Netrebko als Soft-Power

Die Zürcher Netrebko-Rehabilitation scheint zu funktionieren: Alle fünf Vorstellungen sind ausverkauft, sie ist und bleibt ein Publikumsmagnet. Riccardo Tognetti sieht das als Teil des Problems, so funktioniere die Soft-Power des Kremls: «Netrebkos Rolle ist es, den Ukraine-Krieg zu normalisieren und vergessen zu lassen.»

Porträt von Anna Netrebko
Legende: Die Operndiva Anna Netrebko lebt hauptsächlich in Wien und hat neben der russischen seit 2006 auch die österreichische Staatsbürgerschaft. (19.1.2023, Eröffnung des Wiener Philharmonikerballs) Keystone/APA/APA/GEORG HOCHMUTH

«Da ist durchaus was dran», sagt SRF-Russlandkorrespondent Calum MacKenzie. Zwar seien nicht per se einzelne Künstlerinnen und Künstler Agenten des Kremls, sie werden aber als Teil einer grossen Überlegenheits-Erzählung instrumentalisiert. Bei Netrebko war dies zumindest bis 2022 der Fall. «Der Kreml propagiert bewusst die Sichtweise, dass die russische Kultur von Putins Regierung nicht zu trennen ist und dass diese reicher und weiterentwickelt sei als zum Beispiel die ukrainische», so MacKenzie.

Zwischen Bühne und Wirklichkeit

Für die fünf Opernabende in Zürich wünscht sich der Verein «Helvetia for Ukraine» bestimmte Rahmenbedingungen, etwa eine Schweigeminute und dass ein Teil der Einnahmen an die Kriegsopfer gespendet wird. Beides sei nicht geplant. Die Solidarität mit der Ukraine sei für Matthias Schulz ungebrochen: «Aber ich halte es für wichtig, die Situation nicht weiter aufzuladen. Anna Netrebko tritt als unabhängige, international tätige Künstlerin auf.»

Politisch werden die Vorstellungen allemal, erst recht bei diesem Stoff: «Pace, pace, mio Dio!» seufzt Leonora im vierten Akt und bringt ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass der Krieg bald vorbei sein möge. Rund um Anna Netrebko überschlagen sich also die Deutungen – in der Fiktion wie in der Realität.

Radio SRF 1, Echo der Zeit, 31.10.2025, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel