Anna Netrebko singt diesen Sommer nicht im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Die Sopranistin wurde auf Druck der Luzerner Regierung ausgeladen.
Grund dafür sind die ihr nachgesagte Nähe zu Putin und die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock. SRF-Musikredaktorin Theresa Beyer über den Umgang mit politisch unliebsamen Künstlerinnen und Künstlern.
Wie üblich ist es, dass Regierungsgremien in die Agenden von Kulturhäusern eingreifen?
Dass kantonale oder städtische Behörden Veranstaltungsorte auffordern, ein Konzert abzusagen, ist gemäss meiner Erfahrung eher ungewöhnlich. In der Regel sind es die Musikerinnen oder Veranstalter, die solche Entscheidungen treffen.
Regierungsrat Armin Hartmann sagte: «Wir sind der Meinung, dass ein Kulturkanton wie Luzern Haltung beziehen sollte.» Ist der Fall so klar?
Der Fall Anna Netrebko ist nicht so klar und eindeutig. Anders beim russischen Dirigenten Valery Gergiev: Im Frühjahr 2022 hatten verschiedene Festivals von ihm eine Stellungnahme gegen den Krieg eingefordert. Er reagierte aber nicht und stellte sich an die Seite von Putin. Vielerorts wurde er daraufhin ausgeladen – auch aus dem KKL Luzern.
Anna Netrebko hingegen hat sich mittlerweile vom Krieg distanziert, was für zahlreiche europäische Opernhäuser und Festivals Grund genug ist, sie wieder auftreten zu lassen. Andere Veranstalter haben ihr abgesagt. Sie vermissen weiterhin eine explizite Distanzierung von Putin.
Wo ist die Grenze dessen, was man aushalten muss, auch bei Musik mit politischem Inhalt?
Die rechtliche Grenze ist da, wo Musik zu Hass aufruft, die Menschenwürde verletzt, antisemitisch oder rassistisch ist. Aber es gibt natürlich auch ethische und moralische Grenzen, genauso wie individuelle, emotionale.
Netrebko hätte nur ein harmloses Arien-Potpourri gesungen. Trotzdem wäre das ein politisches Konzert gewesen.
Veranstalterinnen und Veranstalter setzen die Grenzen ganz unterschiedlich. Auch kommerzielle Überlegungen, die Glaubwürdigkeit beim Publikum und Sicherheitsbedenken spielen natürlich eine Rolle.
Und auf Seite der Künstlerinnen und Künstler?
Auch da sind die Grenzen fliessend. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Die ukrainische Komponistin Viktoria Poleva hat mir vor zwei Jahren erzählt, dass sie eine Uraufführung in Deutschland zurückgezogen habe, weil dort auch russische Musik gespielt wurde.
Poleva empfand die Programmierung zu diesem Zeitpunkt als Grenzüberschreitung. Sie konnte ihr Stück in diesem Kontext einfach nicht aufführen.
Wie sollen wir alle mit Kunst von Menschen umgehen, welche andere politische Positionen vertreten als man selber?
Man muss sich fragen, was überwiegt: Mein Unbehagen mit der Position der Person oder das, was mir die Musik bedeutet? Schaffe ich es, diese Widersprüche in mir zu vereinen? Die Vorstellung, dass man den Menschen hinter der Musik ausblenden kann, halte ich für zu kurz gedacht. Denn eine Künstlerin verkörpert ja die Musik.
Netrebko hätte in Luzern nur ein harmloses Arien-Potpourri gesungen. Und trotzdem wäre das ein politisches Konzert gewesen. Nicht nur, wenn Ukrainerinnen und Ukrainer vor dem KKL protestiert hätten, sondern auch, weil Netrebko bereits als Figur symbolisch aufgeladen ist.