Darum geht es: In London ist die russische Opernsängerin Anna Netrebko aufgetreten. In der Royal Opera feierte sie Premiere mit einer neuen Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper Tosca. Die Sängerin wird vielerorts im Westen kritisiert wegen ihrer Nähe zu Russlands Machthaber Wladimir Putin. Deshalb sagte letztes Jahr das KKL in Luzern den Auftritt der 53-Jährigen ab. Und auch in London forderten einflussreiche britische Stimmen und ukrainische Kulturschaffende sowie Politiker in einem offenen Brief jetzt die Absetzung der Auftritte.
Keine Zwischenfälle: «Ihr erster Auftritt in London am Donnerstagabend ist ohne Eklat über die Bühne gegangen», sagt der in London lebende Journalist Peter Stäuber. Allerdings hätten vor der Royal Opera mehrere dutzend Personen gegen Netrebkos Engagement protestiert. «Sie schwenkten Ukraine-Fahnen und brachten auf Schildern ihre Abscheu über den Auftritt Netrebkos zum Ausdruck.» Auf einem der Schilder habe gestanden: «Während Netrebko singt, blutet die Ukraine.»
Geschmähte Netrebko: Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hatten zahlreiche Opernhäuser die Zusammenarbeit mit dem Sopran-Weltstar beendet. Netrebko galt lange als Aushängeschild russischer Kulturpolitik, trat vor einigen Jahren auch mit Symbolen russischer Grossmacht und der Annexionspolitik auf. Und 2012 setzte sie sich in einer Petition dafür ein, dass Putin nach dem Intermezzo mit Präsident Dmitri Medwedew erneut als russischer Präsident kandidieren solle.
Angeblich gegen den Krieg: Zwar hat sich Netrebko vom russischen Angriff auf die Ukraine distanziert – allerdings erst Ende März 2022.
Netrebko ist für viele Briten nach wie vor ein Symbol für die Propaganda des Putin-Regimes.
«Trotzdem ist Netrebko für viele Britinnen und Briten nach wie vor ein Symbol für die Propaganda des Putin-Regimes», sagt Journalist Stäuber. Und dass Netrebko gerade jetzt, da Russland die Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung intensiviert, in London auftreten kann, werde von vielen nicht verstanden. Die Kritiker weisen unter anderem darauf hin, dass die Sängerin seit 2022 nie mehr Kritik an Moskau geübt habe wegen dessen Angriffskriegs.
Ukrainischer Protest: Heftige Kritik am Londoner Auftritt hatte der ukrainische Botschafter geübt. Er sprach davon, dass das Opernhaus «Verrat» begehe, indem es Netrebko auftreten lasse. Das sei besonders deshalb schmerzhaft, weil Grossbritannien einer der engsten und treuesten Verbündeten der Ukraine sei. Doch auch dieser Protest konnte den Auftritt nicht verhindern – «und damit ist der Widerstand im Grunde gescheitert», bilanziert Stäuber. Der politische Hintergrund werde wohl rasch in Vergessenheit geraten – und Netrebko bei den kommenden Auftritten in London als Opernstar gefeiert.