Genialer Klangpoet für die einen, gefälliger Hintergrundkomponist für die anderen: Ludovico Einaudi begeistert und polarisiert. Mit 70 scheint der italienische Komponist und Pianist der Stille ruheloser denn je: zirka 100 Konzerte gibt er jährlich.
Parallel dazu erscheinen neue Alben, Anfang des Jahres «The Summer Portraits», ein zartes Album, das den Sommer am Meer heraufbeschwört. Und zusammen mit seinem Sohn Leo, das Vinyl-Album «Einaudi vs Einaudi». Leo Einaudi verarbeitet darauf einzelne Summer Portraits zu sphärisch-hypnotischen Ambient-Sounds.
Versöhnend und beruhigend
Ludovico Einaudis Musik kommt leicht, schlicht und elegant daher. Sie ist harmonisch, repetitiv, kaum bewegt, und basiert auf wenigen, immer variierten Dreiklängen. Oft in Moll. Und oft schwingt Melancholie und Nostalgie mit.
Dass Einaudi selbst am Klavier spielt, solo, oder mit anderen Musikerinnen und Musikern, schafft Nahbarkeit. Nach seinen immer ausverkauften Konzerten reisst sich das Publikum um seine Partituren. Seine Musik will nachgespielt werden.
Von Barock bis Rock
Musikalische Zurückhaltung verbindet sich mit Anlehnungen an die Musikgeschichte: Vom Barock nimmt Einaudi die Dynamik, von der Klassik die Harmonik, von der amerikanischen Minimalmusik das Repetitive und von Pop und Rock ’n’ Roll den Schwung. Gekonnt hat sich Einaudi nach Schulung durch die Musikavantgarde dem Einfachen und Emotionalen zugewandt. Und darin seinen ganz eigenen Stil gefunden.
Nicht zuletzt durch Filmmusik ist Einaudi berühmt geworden. Jüngste Beispiele sind 2020 «Nomadland» – das nomadische Roadmovie in der Weite des US-Westens erhielt die höchste Auszeichnung in Venedig – oder «The Father» mit Anthony Hopkins – das oscarnominierte Seelenporträt eines Demenz-Verwirrten.
Keiner der Filme ist denkbar ohne den charakteristischen Einaudi-Sound. Dieser bildet die perfekte Folie sowohl für weite Landschaften als auch für Seelen-Innenleben. Und verleiht den Bildern einen ganz eigenen Subton.
Verbindung schaffen
Aufzutreten ist für Einaudi zentral. Da verbindet er sich mit seinem Publikum und lebt, was er als wichtigste Elemente seiner Musik bezeichnet: «Love and Peace». Damit spricht er geschickt uns alle an, insbesondere auch eine junge Generation, angesichts einer zerrütteten Welt.
Dennoch wirkt es authentisch. Seine meistgestreamten Songs, «Experience» und «Nuvole bianche», spielt er stets. Das schulde er seinen Fans, das schaffe Verbindung.
Einaudi gibt sich als einfacher Mensch: Er ist gern nahe an den Menschen und am einfachen Leben. Trotz oder wegen seines familiären Hintergrunds aus der italienischen Kultur- und Politikelite lebt er eine bodenständige Italianità: Nebst all den Konzerten im Superlativ beendet er bereits seit zehn Jahren seine Konzertsaison jeweils im Dezember mit einer kleinen Konzertserie im Teatro dal Verme in Mailand. Sie ist stets ausverkauft. Solche Momente verbinden.
Mit ihren wenigen Tönen evoziert Einaudis Musik Bilder, weckt Ahnungen und Erinnerungen. Selbst Erlebtem verleiht sie eine zusätzliche Ebene, eigenen Gedanken bietet sie Raum. Das Geheimnis seines Erfolgs liegt sicherlich in dieser Zurückhaltung wie auch in der Aura, die der stille Klangpoet gezielt und geschickt um sich als Person und um seine Musik webt.