Nehmen wir zum Beispiel den Komponisten Othmar Schoeck. Für ihn, den in Brunnen am Vierwaldstättersee Geborenen, war es selbstverständlich, in Deutschland zu studieren.
Schoeck, wie viele seiner Zeit, besuchte das damals führende Land der Musik. Studierte bei Max Reger in Leipzig. Und kehrte erst danach nach Zürich zurück. Deutschland sollte wichtig bleiben für ihn – lebenslang.
Know-how von aussen
Kompositionshandwerk, instrumentales Können, Ideen und musikalische Inspiration – ein kleines Land wie die Schweiz lebt davon. Seit geraumer Zeit: Zumal die Schweiz als Agrarland historisch gesehen auch keine wichtigen Fürstenhöfe oder Residenzen aufweisen konnte, wo Musik gefördert wurde, weil sie zum fürstlichen Alltag gehörte.
Ludwig Senfl etwa, der Schweizer Renaissance-Komponist: Für ihn gab es kein Bleiben in der Schweiz. Er diente an einem Hof an, demjenigen des Kaisers Maximilian in Wien. Senfl hatte dort den wichtigsten Musikposten inne. Bis ihn der Kaiser nicht mehr brauchte.
Dann schrieb Senfl für einen katholischen Herzog in München und ebenso für den Reformator Martin Luther. Ausserdem komponierte er für eine bürgerliche Schicht, die sich vor allem an seinen teils recht derben Liedern erfreute.
Anpassertum oder Ferienland
Ein gewisser Opportunismus bezüglich der Geschmäcker der bezahlenden Herren – das war Schweizer Komponisten im Ausland nicht unbekannt. Wie war es umgekehrt: bei den Komponisten, die in die Schweiz kamen? Haben sie unseren Geschmack bedient?
Nein – in der Regel machte man in der Schweiz Ferien. Wie etwa Felix Mendelssohn Bartholdy im Berner Oberland, der dabei auch noch gleich das Jungfraumassiv zeichnete. Oder man liess sich von der Volksmusik inspirieren, wie Johannes Brahms. Das Resultat kann heute noch in Brahms erster Sinfonie gehört werden.
Statt Abwehr mehr Alte-Musik-Experten
Wie sieht es heute aus? Gäbe es sie noch, die Grenzen und die Abwehrmentalität, wie sie eine zeitlang auch in der Schweiz geherrscht haben, so würden heute nicht Professoren und Studierende aus der ganzen Welt unsere Musikhochschulen bereichern.
In Basel etwa sind im Masterstudiengang 77 Prozent der Studierenden Nicht-Schweizer. Das ist viel? Es geht: Denn immerhin bildet etwa die Basler «Schola Cantorum» jedes Jahr neben 147 ausländischen auch 17 Schweizer Experten für Alte Musik aus. Und das sind für ein so kleines Land ziemlich viele.
Die Vorzeichen für den musikalischen Durchgangsverkehr in der Schweiz heissen also Offenheit, aber auch Zwang. Ein Jazzmusiker, wie der seit langem in Wien lebende Matthias Rüegg, hatte in der Schweiz schlicht keinen Ort, um sich zu entfalten. Als zu fremd, zu neuartig wurde der Jazz in der Schweiz lange wahrgenommen.
«Schloss Dürande» unter dem Hakenkreuz
Und Othmar Schoeck? Schoeck schrieb grosse Musik, die er auch gross herausbringen wollte. Die Rede ist von seiner Eichendorff-Oper «Schloss Dürande», die im Berlin des Jahres 1943 unter dem Hakenkreuz zur Uraufführung kam. Dem Komponisten dieser Oper hat das nachhaltig geschadet. Nicht jedes Ein- und Ausreisen verlief also ohne Probleme.
Eine Weltbürgerin im Durchgangsland
Und doch: Möchte man ein positives Beispiel nennen, so muss man unbedingt die Geigerin Patricia Kopatchinskaja erwähnen. Geboren in Moldawien, gross geworden in Wien, kam sie vor Jahren in die Schweiz und lebt heute in Bern.
Für sie gibt es, ihren eigenen Worten gemäss, keine bessere Stadt zum Leben und Arbeiten. Berühmt ist sie heute, und das in der Schweiz wie auch in der ganzen Welt. Eine Weltbürgerin.