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Phänomen «Ghost Artists» auf Spotify
Aus Kultur-Aktualität vom 02.06.2023. Bild: Getty Images/baytunc
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Phänomen «Ghost Artists» Trickserei auf Spotify? «Geistermusik» nimmt zu

Millionen von Menschen Leuten hören auf Spotify Musikerinnen und Musiker, die es nicht gibt. Steckt dahinter ein System?

Was sind Ghost Artists? Damit werden bestimmte Musikerinnen und Musiker auf Spotify bezeichnet. In ihren Biografien schreiben sie beispielsweise, sie wären klassisch ausgebildete Pianistinnen, hätten hawaiianische Wurzeln oder dass ihre Musik die eigene Persönlichkeit spiegeln würde. Das Problem: In Wahrheit sind die Biografien frei erfunden. Dahinter stecken einzelne Musikschaffende, die ihre Stücke unter diversen Pseudonymen veröffentlichen.

Wie verbreitet ist das Phänomen? Von der Existenz solcher Ghost Artists weiss man schon lange. Eine grosse Recherche des Bayrischen Rundfunks zeigt nun aber deren Ausmass: Mehr als 60 Prozent der Lieder auf der von Spotify selbst erstellten Playlist «Peaceful Piano» stammten zum Zeitpunkt der Recherche von solchen Ghost Artists. «Peaceful Piano» zählt schon seit Jahren zu den populäreren Playlists.

Screenshot der Spotify-Künstlerinnenseite von Amandine Moulin
Legende: Die Werke der Pianistin Amandine Moulin finden sich auf vielen Playlists wie «Peaceful Piano». Auf ihrer Künstlerinnenseite heisst es, die Musikerin stamme aus Paris. Tatsächlich existiert sie nicht. Screenshot Spotify

Wie kam es zum Phänomen? Über die Gründe lässt sich nur mutmassen. Jegliche Musikerinnen und Musiker, die ihre Songs unter solchen Pseudonymen veröffentlichen, haben sich der Aussage gegenüber dem Bayrischen Rundfunk (BR) verweigert. Für sie und auch für Spotify sind aber durchaus Vorteile denkbar. So bieten Pseudonyme für die Musikschaffenden eine grössere Chance, auf den beliebten Playlists zu landen. Denn nur wer es auf die von Spotify kuratierten Listen schafft, geht in der Masse nicht unter. Naturgemäss decken solche Playlists eine grosse Bandbreite an Musikschaffenden innerhalb eines Genres ab. Wenn ein und dieselbe Person unter unterschiedlichen Namen auftritt, kann sie es dennoch mehrmals auf die Liste schaffen.

Steckt hinter den Ghost Artists ein System? Schon 2017 zeigte die Plattform «Music Business Worldwide» auf, dass überdurchschnittlich viele Ghost Artists die beliebten obersten Playlist-Plätze belegten. Diese Musikschaffenden waren allesamt durch das schwedische Label «Epidemic Sound» vertreten. Das Label kaufte die Rechte ihren Musikern und Musikerinnen einmalig ab. Tantieme erhielten sie nicht. In den Recherchen des BR ist es mit «Firefly Entertainment» nun wieder ein schwedisches Label, das in den Fokus gerät. Pikant daran: Einer der Gründer dieses Labels ist laut der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter privat mit dem Spotify-Manager befreundet, der das Konzept der Playlists entwickelt hat. Über die geschäftlichen Beziehungen der beiden ist jedoch nichts bekannt. Dem BR sagte eine Sprecherin, Spotify kuratiere Playlists komplett unabhängig.

Ghost Artist oder Fake Artist?

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Die Praxis, mit zahlreichen Pseudonymen auf Spotify vertreten zu sein, sorgte 2017 schon unter dem Schlagwort «Fake Artist» für Aufsehen. Da hinter den Pseudonymen aber tatsächlich real existierende Musikerinnen und Musiker stecken, scheint in Anlehnung an Ghostwriter der Begriff Ghost Artist angebrachter. Mit zunehmendem Einfluss der KI wird der Begriff Fake Artist aber sicher schon demnächst wieder aufploppen.

Was spricht für Ghost Artists? Eine Zusammenarbeit wäre für alle Parteien lukrativ: Die Plattform würde dabei entweder eine Flatrate oder geringere Tantieme für Songs der Ghost Artists bezahlen. Dafür würde sie diese aber auf die guten Plätze setzen. Dies zeigen die Recherchen des BR, dessen Reporterinnen und Reporter Einblick in ein entsprechendes Angebot an einen Musiker hatten.

Welchen Einfluss hätten Ghost Artists auf «echte» Künstler? Spotify bezahlt seine Künstlerinnen und Künstler nicht pro gehörten Song, sondern poolt alle Streams und entlohnt sie anteilmässig. Billige Ghost Artists könnten somit den Anteil real existierender Musikschaffender und somit auch die Ausgaben des Konzerns schrumpfen lassen. Ob dieses System der Realität entspricht, darüber kann nur gemutmasst werden. Es würde aber die schiere Menge an Ghost Artists erklären. Denn damit es funktioniert, müssen diese Ghost Artists auch Geister bleiben, also unbekannt und austauschbar sein. Nur so kann man vermeiden, dass sich am Ende noch eine Fangemeinschaft bildet.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 02.06.2023, 17:20 Uhr;

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