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Schweizer ESC-Sieg Das Kleid furchtbar, der Song ein Hit: 1988 räumte Céline Dion ab

Es war spannend bis zur letzten Minute: Die Kanadierin Céline Dion gewann 1988 den Eurovision Song Contest für die Schweiz – mit nur einem Punkt Vorsprung.

Die Schulterpolster waren breit und Dauerwellen Standard: 1988 hiess der Eurovision Song Contest noch Grand Prix Eurovision de la Chanson. Dessen Austragung war ein Event, für das man sich mit Freunden und Nachbarn vor dem Fernseher versammelte – und sei es auch nur, um darüber zu lästern.

Der Abend ist für die Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer ein spannender. Denn bis zum letzten Voting liegt der englische Schlagersänger Scott Fitzgerald in Führung.

Eine junge Frau in weissem Rock steht mit einem Mikro auf der Bühne und singt.
Legende: Die Kanadierin Céline Dion tritt 1988 für die Schweiz an – man konnte keine gebürtige Schweizerin für ESC finden. KEYSTONE/LEHTIKUVA/Heikki Saukkomaa

Für die Schweiz geht die 20-jährige Quebecerin Céline Dion ins Rennen – in einem Kleid, über das «Der Bund» am nächsten Tag spottet: «Ein Oberteil à la Maggie Thatcher, kombiniert mit einer knapp über den Knien abgesägten Tüll-Krinoline.»

Vom Turnbarren zum Mikrofon

Schon die nationale Ausscheidung hatte Dion klar dominiert, obwohl ihr die Schweizer Expertenjury nur sechs von zehn möglichen Punkten zugestand. Der Song «Ne partez pas sans moi», komponiert von Atilla Şereftuğ mit dem Text von Nella Martinetti, hat alles, was einen Hit ausmacht. Dion ist in Kanada bereits ein Star, in Europa hingegen kennt sie niemand.

Céline Dion kommt aus einer musikalischen Familie. Der Vater spielt Akkordeon, die Mutter Geige. Alle 14 Geschwister spielen ein Instrument. Den ersten Auftritt hat sie mit fünf Jahren. Doch fast wäre aus ihr keine Sängerin, sondern eine Turnerin geworden.

Als 1976 in Montreal die Olympischen Sommerspiele stattfinden, sieht Céline Dion die rumänische Turnerin Nadia Comăneci am Stufenbarren. Comăneci erreicht die perfekte Note 10 – als erste Kunstturnerin der Geschichte.

Dieser Erfolg hat Céline Dion beeindruckt: «Ich wollte genauso gut sein wie Nadia Comăneci. Ich wusste, dass ich den Mut, den Willen und die Disziplin hatte, um es zu schaffen. Doch dann hielt ich anstatt eines Turnbarrens ein Mikrofon in der Hand.»

Sieg im Hitchcock-Finale

Der Grand Prix Eurovision de la Chanson 1988 in Dublin beginnt für Céline Dion optimistisch. Die Buchmacher sehen sie als Favoritin. Doch nach der ersten Probe sinkt ihre Quote.

Am Finaltag verfolgen unglaubliche 600 Millionen Zuschauer die Show im TV. Sie bekommen einen Krimi serviert, der packend bleibt bis zum Schluss.

Der schottische Sänger Scott Fitzgerald begeistert das Publikum mit seiner Ballade «Go». Bis zum letzten Voting liegt Grossbritannien mit fünf Punkten in Führung. Der TV-Produktionsleiter instruiert Scott bereits, was er zu tun hat, wenn er gewinnt. Doch dann passiert das Unmögliche: Jugoslawien gibt der Schweiz sechs Punkte und Grossbritannien keinen einzigen.

Sinkende Karriere

Das hat niemand erwartet, schon gar nicht Scott Fitzgerald. «Und dann, ganz plötzlich, als die letzten Punkte verteilt waren, wandten sich sämtliche Kameras von mir ab», erinnert sich der Brite. «Von einer Sekunde auf die andere war ich allein. Kein Mensch war mehr da, und ich fühlte mich so einsam wie noch nie.»

Für Scott Fitzgerald war der zweite Platz das langsame Ende seiner Karriere. Er verdiente sein Lebensunterhalt auf Kreuzfahrtschiffen, während Céline Dion eine Weltkarriere startete und mit «My Heart Will Go On» die Titanic sinken liess.

SRF 1, Sternstunde Musik, 9.5.2024, 12 Uhr

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