- Für Clara Ianotta bedeutet Komponieren vor allem auch Basteln, ihre Musik entsteht mit Hilfe von Alltagsgegenständen und selbstgebauten Apparaten .
- Geräusche setzt Clara Ianotta gleichberechtigt mit dem Klang von Instrumenten ein.
- Diese Gleichzeitigkeit korrespondiert mit dem Lebensgefühl der gebürtigen Italienierin, die in Berlin lebt und in Boston doktoriert.
- In ihrer Musik will Clara Iannotta innere Zustände nachempfinden.
Ein Kleiderschrank ohne Kleider
Als Journalistin bekommt man hin und wieder Einblicke in die Plattensammlung eines Musikers. Oder darf einen flüchtigen Blick auf das aufgeschlagene Notizbuch werfen. Vielleicht erfährt man beim Hausbesuch etwas über den Lieblingstee. Doch dass eine Komponistin so ohne Weiteres ihren Kleiderschrank öffnet?
Clara Iannotta tut das wohlwollend. Aber in ihrem Kleiderschrank hängen nicht mehr als drei Pullis auf dem Bügel. Was sie mir zeigen will, steckt in den kleinen Kisten und Schachteln in den oberen Fächern.
Entdeckerin der Klänge
Aus der ersten Kiste holt sie Vogelpfeifen aus: «Die passen besonders gut zu Streichern», sagt sie und trillert etwas vor. Dann packt sie eine mit Seide bespannte Mundharmonika aus, die einen unfassbar hohen Ton produziert. Clara Iannotta führt die Tupperdosen vor, die auf Plexiglasplatten quietschen, drückt eine Tischglocke und bringt über kleine Lautsprecher Alufolien zum knistern.
Alle Klänge aus ihrem Kleiderschrank, die sie hier stolz wie eine Entdeckerin vorführt, setzt sie in ihren Kompositionen ein, zu Klavier, Geige, Cello, Bratsche oder Bassklarinette.
Doch auch die Streicher und Bläser spielen ihr Instrument selten so, wie sie es gelernt haben, sondern weiten dessen Grenzen aus: Sie drücken derb auf die Seiten, zwischen denen Büroklammern stecken, lassen Töne überschlagen, kreieren flüchtige Spritzer oder ziehen hohe Tonfäden ins Unendliche. Eins ist klar: Bei Clara Iannotta herrscht Gleichberechtigung zwischen Geräusch und Klang.
Schöpfen aus der Fantasie
Als nächstes holt Clara Iannotta eine schwarze Kiste hervor, in der eine Maschine zum Vorschein kommt: Auf einem Brett sind zwölf Spieluhren an zwölf Motoren gekoppelt. Sie erklärt: «Mit den Knöpfen kann ich sie einzeln ansteuern, mit den Reglern kann ich die Drehgeschwindigkeit der Spieluhren verändern.»
Jede Spieluhr spielt ein anderes Lied – von «Für Elise» bis «Sound of Silence», einige sind mit Klebestreifen beklebt und klingen wie geknebelt. Einen Klang, den sie in ihrer Komposition «The people here go mad, they blame the wind» einsetzt.
Kindlicher Spieltrieb
Clara Iannottas Spieltrieb stammt aus ihrer Kindheit: «Mein Vater hatte Spielzeug verboten. Als ich unbedingt welches haben wollte, sagte er, dass ich es mir selber bauen müsse.
Also begann ich kleine Dörfer zu bauen, bewohnt von kleinen Männchen aus Kabeln und Drähten». Mit dieser Fantasie geht sie auch an ihre Kompositionen heran: Sie möchte sich den Klang bauen, den sie im Kopf hat.
Überall und nirgendwo
Clara Ianottas Einzimmerwohnung in Moabit, im Norden von Berlin, sieht nicht aus wie die einer Künstlerin. Alles ist ganz ordentlich, minimalistisch eingerichtet. Clara Iannotta will nicht zu viel Ballast anhäufen, sie ist viel unterwegs, sagt sie: in Boston die Doktorarbeit, in Rom die Familie, hier ein Stipendium, da ein Kompositionsauftrag, in Berlin die eigentliche Heimat.
Diese Gleichzeitigkeit steckt auch in ihrer Musik. Clara Iannottas energetische Texturen haben vielen Ebenen aus Geräuschen, Klängen, Obertönen, ungewöhnlichen Klangfarben.
Flüsternde Gewitter
Manchmal türmen sich diese Klangfelder zu Gewittern auf, manchmal sind sie so zerbrechlich und leise, dass man sie nur wahrnimmt, wenn man die Bewegung der Musikerinnen und Musiker auf der Bühne sieht.
«Das ist wie wenn jemand in einer laut plappernden Menschenmenge flüstert. Allein mit den Ohren verstehe ich seine Worte nicht. Ich verstehe sie aber, wenn ich auf die Lippenbewegung achte.» Weil das Visuelle auch in ihren Kompositionen wie ein Verstärker wirken soll, spricht Clara Iannotta von «Klangchoreografien».
Schreie, Bestien, Angst
Die 33-jährige Clara Iannotta hat eine selbstverständliche, freundliche Art zu reden. Aber was sie sagt, hat es in sich: sie erzählt von tonlosen Schreien in ein Kopfkissen, die sie mit ihrer Musik versucht nachzuempfinden.
Sie erzählt von ihrer elfmonatigen Schaffenskrise, von Ideen wie Bestien, die aus ihr herausmüssen, von der Angst zu Sterben. Und immer wieder spricht sie von «polvere», vom Staub – ein inneres Bild, ein Gedanke, der sie vor drei Jahren begann magisch anzuziehen.
Staub zum Klingen bringen
Damals – es war ihre Anfangszeit in Berlin und tiefster Winter – war sie von Panikattacken geplagt und las die Gedichte der irischen Schriftstellerin Dorothy Molloy.
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Beim Lesen hatte sie immer die gleiche Assoziation: «Ich bin eingeschlossen in einem Raum voller Staub. Vor lauter Staub spüre ich meinen Körper nicht mehr. Doch dann öffne ich langsam die Augen und erkenne die mikroskopischen Bestandteile eines jeden Staubkorns. Ich sehe jeden Lichtstrahl darauf, sehe wie es mit Millionen anderer Staubkörner durch die Luft wirbelt. Diesen Staub möchte ich komponieren.»
Als letztes holt Clara Iannotta einen Block Styropor aus ihrem Kleiderschrank. Sie streicht mit einer Bürste darüber: ein sonorer, geheimnisvoller Klang entsteht. «Wenn dieser wirbelnde Staub im Licht einen Klang hätte, dann kommt dieser ihm am nächsten.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Musik unserer Zeit, 04.01.2017, 20 Uhr