In der Mitte des Lebens nochmals neu beginnen – und mit einem spezifischen Studiengang Pfarrerin oder Pfarrer werden: Das ist in der Schweiz seit sechs Jahren möglich. Was dahinter steckt und warum Pfarrerin ein Beruf mit Zukunft sei, erklärt Pfarrer-Ausbilder Thomas Schaufelberger.
SRF: Warum bieten Sie den Quereinsteiger-Studiengang an?
Thomas Schaufelberger: Der erste Grund ist der Pfarrmangel. Da zeichnet sich eine grosse Lücke ab, weil viele Pfarrerinnen und Pfarrer pensioniert werden. Deshalb haben die reformierten Kirchen darüber nachgedacht, wie man weitere Menschen dazu ermutigen könnten, Pfarrer oder Pfarrerin zu werden.
Im Laufe der Entwicklung des Quereinsteigerprogramms zeigte sich auch, dass die Kirchen von den Erfahrungen und Kompetenzen dieser Menschen profitieren können. Wir möchten also Menschen die Möglichkeit bieten, einen spannenden Beruf zu erlernen und dabei ihre Kompetenzen einzubringen, um die evangelisch-reformierte Kirche heute und in Zukunft zu gestalten.
Wer interessiert sich für den Quereinstieg in den Pfarrberuf?
Die Bandbreite von beruflichen, familiären, geografischen Hintergründen ist gross. Oft hören wir den Satz: «Ich möchte etwas Sinnvolles tun mit meinem Leben.»
Viele erzählen auch, sie hätten schon als Jugendliche mit dem Gedanken gespielt, Pfarrer oder Pfarrerin zu werden, hätten dann aber eine andere Karriere eingeschlagen. Der Gedanke blieb aber im Hinterkopf – und nun ergreifen sie mit Mitte 40 die Gelegenheit, den ursprünglichen Traum wahr zu machen.
Die gesellschaftliche Relevanz der Kirchen nimmt ab, die Mitgliederzahlen sinken. Warum soll man denn heute überhaupt noch Pfarrerin oder Pfarrer werden?
Weil der Pfarrberuf irrsinnig schön ist. Ein Beruf mit viel Gestaltungsspielraum. Ein sinnvoller Beruf. Man ist mit Menschen unterwegs, an wichtigen Stationen ihres Lebens: Wenn ein Kind zur Welt kommt, bei einer Heirat, beim Tod. Es geht immer um existenzielle Fragen, um Glaube, um Spiritualität, um Sinn.
Viele sind auf der Suche nach einem sinnvollen Beruf
Zudem gibt es sehr unterschiedliche Pfarrstellen: solche in der Stadt, die eher experimentellen Charakter haben, wo es auch um zukünftige Formen von Kirche geht. Aber auch solche, die eher traditionellen Rollenbildern entsprechen, etwa in ländlichen Gebieten der Schweiz.
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Aber hat der Beruf Zukunft? Man liest immer wieder von der Überalterung der Kirche und vom Mitgliederschwund.
Natürlich gibt es Kirchenaustritte, die evangelisch-reformierte Kirche wird tendenziell kleiner. Wir sind aber überzeugt, dass Kirche sich zwar verändert, aber nicht weniger relevant wird. Und: In den nächsten Jahrzehnten wird es weiterhin mehr Stellen geben als ausgebildete Pfarrerinnen und Pfarrer. Das Pfarramt ist also ein sehr sicherer Beruf.
Beim Pfarrberuf geht es immer um existenzielle Fragen.
Wir haben mit einem Quereinsteiger und einer Quereinsteigerin gesprochen. Sie empfanden vor allem die alten Sprachen – Hebräisch und Altgriechisch – als Herausforderung. Aber auch die Organisation von Familie, Beruf und Studium. Sind diese Erfahrungen repräsentativ?
Sie sind sehr repräsentativ. Die Sprachen sind tatsächlich eine Hürde. Mit 45 lernt es sich nicht mehr so leicht wie mit 20. Daran scheitert auch der eine oder die andere.
Warum bestehen Sie trotzdem auf beiden Sprachen?
Weil für uns Reformierte die Bibel im Zentrum steht. Eine evangelisch-reformierte Pfarrerin muss die Bibel verstehen und reflektieren können. Dazu gehört, dass man sie auch in der Originalsprache liest und versteht, woher die Bibel kommt, in welchem Sprachraum sie entstanden ist.
Ausserdem soll die Quereinsteiger-Ausbildung gleichwertig sein mit einem herkömmlichen Theologiestudium. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft. Die dritte alte Sprache, das Latein, haben wir aber weggelassen.
Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung des Studiums. Viele wünschten sich mehr Unterstützung – zumal die Quereinsteigerinnen und -einsteiger oft eine Familie haben, die sie unterhalten müssen.
Diese Rückmeldungen haben wir auch schon erhalten und Anpassungen vorgenommen: Es gibt die Stipendien der Landeskirchen, ausserdem haben wir den Lohn im Vikariat deutlich erhöht. In der Zürcher Landeskirchen werden Quereinsteigerinnen und -einsteiger zudem in eine höhere Lohnstufe eingeteilt, sodass sie direkt nach dem Vikariat mehr verdienen.
Das Gespräch führte Nicole Freudiger.
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