Armut findet mitten in der Gesellschaft statt, aber oft versteckt. Das will der Hashtag #unten ändern: Seit gestern teilen Twitter-User unter diesem Stichwort ihre Erfahrungen mit vielen Hindernissen durch zu wenig Geld.
«Über die feinen Unterschiede reden»
Aufgerufen dazu hat der Journalist und Buchautor Christian Baron.
Christian Baron kennt das Leben in Armut: In einem Artikel in der deutschen Zeitung «Der Freitag» hat er über seine Kindheit in einer Sozialhilfe-Familie geschrieben. Über Hürden in der Schule, im Studium. Über abwertende Kommentare und das allgegenwärtige Bild: «Wenig Geld? Selber schuld.»
In seinem Artikel fordert er: Der soziale Ausschluss und die Vorurteile, die mit Armut einhergehen, müssen sichtbar werden. Zumindest in den sozialen Medien. «Wir müssen über die feinen Unterschiede reden. Und wir müssen über die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich sprechen.»
Seinem Aufruf sind viele Twitter-User nun gefolgt – in Deutschland trendete #unten heute Morgen.
Falsche Kleidung, falsche Klasse?
Die #unten-Tweets thematisieren etwa Vorurteile und Witze auf Kosten der Unterschicht. Auffällig oft geht es auch um die Erfahrung, in Bildung und Beruf benachteiligt zu sein – zum Beispiel, weil Kleidung oder Sprache auf die falsche Klasse hindeutet.
Auch abseits von Twitter und auch hier ein Thema
Dass gerade jetzt über Armut und ihre Folgen gesprochen wird, hat auch damit zu tun, dass in den letzten Wochen in Deutschland mehrere Studien dazu erschienen sind. Ihr Befund: Arm zu sein ist für viele Alltag, sozialer Aufstieg gelingt selten.
Auch wenn in der Schweiz bisher nur Einzelne den Hashtag nutzen, ein Thema ist Armut auch hierzulande.
«Es gibt in der Schweiz viele, die wenig Geld haben. Aber man merkt das gar nicht», erzählt eine alleinerziehende Mutter in der SRF-Sendung «Rendez-vous».
Wegen der Stigmatisierung würden viele lieber schweigen, als zuzugeben, dass sie finanziell unten durch müssen.
Das Tabu brechen
Mit diesem Tabu will #unten aufräumen und sozialer Ausgrenzung Sichtbarkeit verschaffen. Der Hashtag wird daher mit #metoo oder #metwo verglichen.
Allerdings melden sich unter dem Hashtag vor allem soziale Aufsteiger zu Wort – diejenigen, die von Armut betroffen waren, aber es nicht mehr sind. Das habe auch mit dem Medium zu tun, kritisiert eine Userin:
So ist aktuell auf Twitter viel aus der Vergangenheit von Menschen zu lesen, wenig aus der Gegenwart von Betroffenen.
Und wie bei anderen Hashtags taucht auch bei #unten die Frage auf, was das nun im grossen Ganzen ändern soll.
Doch auch wenn der Hashtag das «Unten» und «Oben» der Gesellschaft nicht beseitigen wird: Er gibt zumindest einen Anstoss, darüber nachzudenken.