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Filmgesetz Eigentlich ist die «Lex Netflix» auch eine «Lex Werbefenster»

Seit 30 Jahren versucht die Schweizer Politik, von RTL und Co. Geld zu erhalten. Denn diese verdienen mit den Werbegeldern Millionen in der Schweiz. Das Filmgesetz – auch «Lex Netflix» genannt – würde das nun erstmals ermöglichen.

Die RTL-Show «Deutschland sucht den Superstar» hat auch in der Schweiz viele Fans und erreicht schon mal 9 Prozent Marktanteil. Wenn man die Show in der Schweiz schaut, dann ist Werbung zu sehen, die nur für Zuschauer in der Schweiz geschaltet wird – das sogenannte Werbefenster. Und diese Werbefenster sind ein Milliardengeschäft.

Seit 2000 gibt's Zahlen dazu. 312 Millionen Franken sind alleine 2019 umgesetzt worden. Über vier Milliarden in den letzten 20 Jahren. Schweizer Werbefranken, die zum grössten Teil von der bei Zürich ansässigen Firma Goldbach akquiriert werden, im Auftrag von RTL und Co.

Legende:

Goldbach-Geschäftsführer Alexander Duphorn sagt, weshalb Werbefenster so gut funktionieren: «Die Zuschauer haben ein attraktives Programm, die Marken wiederum profitieren von einem attraktiven Werbeangebot. Und es gibt natürlich Unternehmen wie Spot-Produktionen, Media-Agenturen oder Vermarkter, die letztendlich auch von der Relevanz des Marktes leben.»

Private haben gegen ausländische Sender keine Chance

26 Werbefenster aus dem Ausland strahlen zurzeit in die Schweiz hinein. Die bekanntesten Sender sind deutsche wie RTL und Pro Sieben, aber auch französische und selbst amerikanische verdienen hier Geld. Mittlerweile pro Jahr sogar mehr als alle Sender der SRG zusammen (SRF, RTS, RSI). Auch die privaten Schweizer TV-Stationen mit rund 100 Millionen Franken Werbeumsatz haben gegen die ausländischen Sender keine Chance.

Legende:

Viel Geld verlässt die Schweiz also. Dagegen wollen Schweizer Politiker seit 30 Jahren vorgehen – bisher vergeblich. 1992 war Adolf Ogi Bundesrat und Medienminister. Er hatte sich damals gegen diese Werbefenster gewehrt. Publizist Matthias Ackeret, der seine Doktorarbeit zum Schweizer TV-Recht geschrieben hat, erinnert sich: «Der Bundesrat wollte das gar nicht zulassen.

Das ging aber gar nicht, weil Ende der 1980er-Jahre die Schweiz ein europäisches Abkommen unterschrieb, wonach der europäische TV-Markt völlig liberalisiert werden sollte – die Geburtsstunde der Werbefenster.» Und seither – seit 30 Jahren – versuchen im Bundeshaus Politiker, den Millionenabfluss zu stoppen.

Die immer gleiche Antwort des Bundesrates

Luzi Stamm, damals noch für die FDP im Nationalrat, protestierte 1993 gleich nach dem Start des ersten Werbefensters und wollte wissen, ob der Bundesrat bereit sei, «den Werbesplit von RTL unverzüglich zu beenden?» Ins gleiche Horn stiessen Politiker von der SVP und der SP.

Die Antwort des Bundesrates aber war immer die gleiche: «Aus international-rechtlicher Optik können wir den ausländischen Veranstaltern von Schweizer Werbefenstern keine Pflichten auferlegen, denn sie unterliegen ja gar nicht unserem Recht», sagte Bundesrat Moritz Leuenberger 2005.

Streaminganbieter sorgen für Umdenken bei der EU

So war das europäische Recht – im Filmbereich macht auch die Schweiz mit – bis vor kurzem: Jeder Staat investiert ins eigene Filmschaffen, ausländische Veranstalter durften nicht zur Kasse gebeten werden. Der Markteintritt der US-Streaminganbieter änderte diese Regel: Denn jetzt erlebten Staaten wie Deutschland und Frankreich selber, was es heisst, wenn Millionen aus dem Markt abgezogen werden – so, wie es die Schweiz seit 1993 mit den Werbefenstern erlebt.

Die Streaminganbieter führten also zu einem Umdenken bei der EU: Neu sollte es auch erlaubt sein, ausländische Veranstalter wie Netflix oder eben die Werbefenster-Betreiber zur Kasse zu bitten. Wie andere Staaten auch reagierte die Schweiz: Nach 30 Jahren vergeblicher Versuche, von den Werbefenster-Millionen etwas in der Schweiz zurückzubehalten, haben National- und Ständerat das mit dem neuen Filmgesetz endlich umsetzen können. Vorläufig, denn ob das Gesetz wirklich in Kraft tritt, wird am 15. Mai an der Stimmurne entschieden.

10vor10, 29.4.2022, 21:50 Uhr

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