Wenn eine Parlamentarierin oder ein Parlamentarier länger verreisen will, im Mutterschaftsurlaub ist oder krankgeschrieben, kann das für ein Parlament zum Problem werden. Entscheide können anders ausfallen, je nachdem wer fehlt. So passiert in Biel: 2017 kippten die Stadträtinnen und Stadträte mit nur einer Stimme Unterschied einen Entscheid über die Organisationsform der Bieler Altersheime. Einen Entscheid, den sie nur ein Jahr zuvor noch anders gefällt hatten.
Die Stadt Biel will solche Zufallsentscheide aufgrund von Abwesenheiten künftig verhindern. Wenn Stadträte fehlen, sollen sie künftig durch einen Stellvertreter ersetzt werden. Sobald ein Stadtrat mindestens drei Monate abwesend ist, kann die erste oder die zweite Ersatzperson auf der Wahlliste den Sitz übernehmen.
Ich habe mich sehr lange gegen Stellvertreter ausgesprochen, habe mich nun aber überzeugen lassen.
Der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr war lange gegen eine Stellvertreter-Lösung. Zwölf bis vierzehn Sitzungen pro Jahr müsse man sich als gewählter Parlamentarier eigentlich einrichten können, fand er. Aber die Gesellschaft habe sich aber verändert, sagt Fehr heute. Und darum habe er sich überzeugen lassen, dass diese Lösung in der heutigen Zeit sinnvoll sei.
Mandat soll für Junge attraktiver werden
Viele Leute würden nicht für ein Amt kandidieren, weil sie wissen, dass sie in den nächsten vier Jahren Legislatur zeitweise fehlen werden, so Fehr. Vor allem Junge, die beispielsweise ein Auslandsemester planen. Mit der Stellvertretungs-Lösung will die Stadt Biel auch jene Personen für eine Kandidatur motivieren.
Das wichtigste Argument ist der Nachwuchs. Wir brauchen unbedingt Leute in den Parlamenten.
Damit erhofft sich die Stadt Biel mehr Nachwuchs für das Stadtparlament. Dies ist für Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs Bern, das wichtigste Argument für Stellvertreter. «Eine Stellvertretung ist eine erste Einstiegsmöglichkeit, um die Spielregeln eines Parlaments kennenzulernen», sagt Golder. Dabei merke man, ob ein solches Amt passe oder nicht. Der nächste Schritt, tatsächlich zu kandidieren, sei dann nicht mehr so weit.
Eine Umfrage von gfs Bern zeigt, dass die meisten befragten Bielerinnen und Bieler eine Lösung mit Stellvertretungen begrüssen. Auch wenn sie mehrheitlich der Meinung sind, dass ein Stellvertreter nicht gleich abstimmt, wie die Person, die tatsächlich vom Volk gewählt wurde. Die Stadt Biel wirke dem aber entgegen, indem nur Personen die Stellvertretung übernehmen können, die auf dem ersten oder zweiten Ersatzplatz der Wahlliste sind, so Politologe Golder.
Wallis, Graubünden, Neuenburg, Jura
Lösungen mit Stellvertretern kennt auch der Kanton Wallis, da hat jeder der 130 Parlamentarier einen Stellvertreter. Auch in Graubünden, Neuenburg oder Jura gibt es die Möglichkeit, eine Stellvertretung einzusetzen. Die Lösung sei grundsätzlich überall sinnvoll, sagt Golder. Man spüre aber, dass sie an Orten mit mehreren Sprachkulturen wie in Biel, Graubünden oder Wallis besonders attraktiv sei. Dort müsse man den Nachwuchs in noch kleineren Kreisen rekrutieren.