Die geplante AHV-Reform sei unfair gegenüber den Frauen, argumentiert die Gegnerschaft, und warnt, es würden Rentenaltererhöhungen für alle folgen. Bundesrat Alain Berset erklärt, warum es am 25. September ein Ja zur Reform brauche und wie die Altersvorsorge der Frauen verbessert werden soll.
SRF News: Herr Berset, jassen Sie?
Alain Berset: Ab und zu, ja – allerdings schon lange nicht mehr. Warum?
Spielen Sie Ihren stärksten Trumpf aus, wenn Ihnen das nichts bringt?
Normalerweise nicht, nein. Wo wollen Sie landen mit dieser Frage?
Warum sollen denn Frauen ihren wichtigsten Trumpf, nämlich das tiefere Rentenalter, hergeben, wenn sie dafür nichts bekommen?
Die AHV ist die wichtigste unserer Sozialversicherungen, das Zentrum, der Pfeiler. Es ist daher zentral, dass sie gut finanziert ist und auch über die Jahre solide bleibt. Eine solide AHV ist im Interesse aller, auch der Frauen.
Im Moment würden Frauen gemäss Umfrage allerdings nur knapp zustimmen, während die Männer sehr überzeugt sind. Viele Frauen denken sich: Warum sollen gerade wir die grössten Opfer bringen, wenn unsere Altersvorsorge über alles gesehen ein Drittel kleiner ist als jene der Männer?
Es stimmt schon, es gibt viele Probleme, die zu regeln sind. Aber das ist noch kein Grund dafür, nirgends zu beginnen. Nein: Wir müssen diesen Schritt nun tun. Für die Frauen gibt es in der Altersvorsorge vor allem in der zweiten Säule Probleme. Aber wir sprechen nun über die erste, die AHV. Dieser Schritt muss erlauben, dass man dann auch einen macht in der zweiten Säule. Wir wissen, dass es dort ein Problem gibt.
Es ist nicht gelungen, die Pensionskassenreform abzuschliessen, so dass man jetzt nicht weiss, ob sie den Frauen wirklich grosse Verbesserungen bringen wird. Also muss man einfach glauben und hoffen?
Bundesrat und Parlament haben vor einigen Jahren eine Reform präsentiert, die ein Paket war – erste und zweite Säule zusammen. Sie wurde abgelehnt. Darum müssen wir nun mit zwei unterschiedlichen Paketen kommen.
Frauen sollen bis 65 arbeiten. Denken Sie, die Arbeitgebenden sind erpicht auf weitere 64-Jährige, die arbeiten wollen und müssen? Viele haben Angst, keinen Job zu bekommen.
64, 65: Das ist ein Referenzalter. Es braucht eine grosse Flexibilität von 63 bis 70, mit der Reform soll es diese Möglichkeit geben – auch Teilzeitarbeit nach der Pensionierung.
Die generelle Diskussion, ob man mit 60 oder danach noch einen Job findet, werden wir nicht mit der AHV regeln.
Die generelle Diskussion, ob man mit 60 oder danach noch einen Job findet, werden wir nicht mit der AHV regeln. Das haben wir mit der Überbrückungsrente geregelt. Bundesrat und Parlament haben diese beschlossen, weil es in der Tat ein Problem sein kann, mit Ende 50 keinen Job mehr zu finden. Das ist eine grosse Gefahr, auch finanziell. Ich bin froh, haben wir das geregelt.
In den letzten Jahrzehnten wurde schon oft vor einem Absturz der AHV gewarnt. Warum sollen wir es diesmal glauben?
Alle wissen, dass sich die Finanzierungsfrage ab dem Moment stellt, wo es immer mehr Leute gibt, die in Pension gehen – und zwar für eine immer längere Zeit. Ein Mann, der pensioniert wird mit 65, hat heute die Perspektive, 20 Jahre Rente zu bekommen. Eine Frau mit 64 eine Perspektive von 24 Jahren. Das ist immer länger, und es sind auch immer mehr Leute, das muss man bei der Finanzierung berücksichtigen. Der grösste Teil der Verbesserung der Finanzierung soll von einer Zusatzfinanzierung kommen. Alle werden das bezahlen, das ist auch wichtig für die Stabilität.
Ihr Parteikollege, Gewerkschaftsbund-Präsident Pierre-Yves Maillard, wirft ihrem Departement irreführende Zahlen vor. Der Bundesrat habe sich auch schon mal um 25 Milliarden verschätzt bei den AHV-Reserven. Warum soll man glauben, dass es ohne Reform schlimm kommt? Zurzeit geht es der AHV ja wieder gut.
Ja, die Demographie ist da, und das bestreitet niemand. Bei der letzten Reform 2017 war es genau die gleiche Diskussion. Weil diese Reform abgelehnt wurde, war mehr Geld für die AHV unbedingt notwendig. Darum die Änderung 2019 (Anmerkung der Redaktion: jährlich zusätzliche zwei Milliarden Franken für die AHV mit der Steuer-AHV-Vorlage ). Aber alle haben auch gewusst, dass es eine Reform der AHV braucht, um sie zu modernisieren – mit Teilzeit, Rentenalterfrage, Flexibilität und Zusatzfinanzierung.
Auch mit dieser Reform soll die AHV aber nur für einige Jahre stabilisiert sein. Und dann: höheres Rentenalter für alle?
Das wird schon lange diskutiert. Ich kann mich noch gut an die 1990er-Jahre erinnern, mit den Weissbüchern. Da sagte man, wir würden bis 70 oder 75 arbeiten, und an diesem Punkt sind wir nun überhaupt nicht. Es gibt aber auch Leute, die sagen, man brauche da nie etwas zu tun, das stimmt auch nicht.
Was heisst das?
Bundesrat und Parlament haben mit der AHV-Reform einen kleinen Schritt vorgeschlagen mit einer guten Kompensation für die Übergangsgeneration. Die zentrale Frage auch in der letzten Reform war nicht, ob man das Rentenalter überhaupt diskutieren solle. Sondern im Zentrum stand, wie hoch die Kompensation sei. Hier haben wir mit neun Jahren Kompensation eine gute Lösung.
Damit kauft man auch finanzielle Stabilität.
Man sollte nicht immer sagen, etwas sei ein erster Schritt für etwas anderes – so würde man nie mehr ein Gesetz ändern! Im Zentrum ist: Am Schluss entscheidet die Bevölkerung. Es gibt immer einen Volksentscheid, und das ist sehr gut. In dieser Abstimmung geht es um die Frage: Will man diese Reform mit einer Zusatzfinanzierung, guten Kompensationen für die Frauen, ein Jahr mehr bei deren Referenzalter, aber mit guter Flexibilität zwischen 63 und 70? Ja oder Nein. Damit kauft man auch finanzielle Stabilität.
Wie es danach weitergeht, wollen Sie nicht sagen?
Das ist nicht die Frage, und ich weiss es auch nicht.
Sie sind jetzt 50. Wie hoch wird das Rentenalter sein, wenn Sie in Pension gehen werden?
Ich glaube, bei 65 als Referenzalter für beide Geschlechter.
Das Gespräch führte Nathalie Christen.