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Bundesratswahlen «Totengräberin des Finanzplatzes? Im Gegenteil!»

Mancher Banker hatte ein gespaltenes Verhältnis zur abtretenden Bundesrätin. Zu unrecht, sagt der Ökonom und Alt-Nationalrat Rudolf Strahm. Er würdigt eine Finanzministerin, die viel bewegte – und enormen Widerständen ausgesetzt war.

Weggefährten würdigen Eveline-Widmer Schlumpf

SRF News: Überrascht Sie der Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf?

Rudolf Strahm: Nach allem, was in der letzten Zeit gelaufen ist, nicht. Die Mitte-Parteien haben sich nicht koordiniert. Es war absehbar, dass sie rechnet – was sie gut kann – und sich nicht mehr zur Wiederwahl stellt.

Wie würden Sie ihr Wirken als Bundesrätin, insbesondere ihre Zeit im Finanzdepartement, würdigen?

Rudolf Strahm

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Rudolf Strahm (geb. 1943 in Lauperswil/BE) ist Ökonom. Er war von 1991 bis 2004 für die SP im Nationalrat. Strahm war in dieser Zeit auch im Vorstand der SP-Fraktion in der Bundesversammlung. Von 2004 bis 2008 amtete er als schweizerischer Preisüberwacher.

Ich habe alle sechs Finanzminister seit Bundesrat Chevallaz seit den 1970er-Jahren erlebt. Keiner hat so viele Reformen realisiert wie Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Natürlich mit ausländischer Hilfe und auf ausländischen Druck hin. Auch musste kein Regierungsmitglied in der jüngeren Geschichte so viele Anfeindungen erfahren.

Sie sprechen die Reformen an, die Eveline Widmer-Schlumpf durchgesetzt hat: Die Weissgeldstrategie, die Aufgabe des Bankgehemnis. Wird das am stärksten in Erinnerung bleiben?

Ihre historische Tat in der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte ist die Reorganisation des Finanzplatzes. Ich denke hier an die Frage der Steuerauskünfte, die internationale Amts- und Rechtshilfe, Geldwäscherei. Alle diese neuen Anforderungen an den Finanzplatz, die von der Globalisierung her kommen, darunter auch die Sicherheit der Grossbanken mit der «Too big to fail»-Vorlage – kurz: es war eine grosse Serie an Reformen. Allerdings muss man sagen, dass die Schweiz alleine und ohne Druck aus dem Ausland nicht die Kraft gehabt hätte, diese durchzusetzen.

Kein Finanzminister seit den 70ern hat so viele Reformen realisiert, und kein Regierungsmitglied musste so viele Anfeindungen erfahren.

Sind es gelungene Reformen?

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Aus meiner Sicht sind es Reformen, die zum Teil längst fällig waren. Etwa die Steuerflucht-Problematik wurde bereits 15 Jahre von der EU thematisiert. Die Unternehmenssteuerreform war ebenfalls fällig. Auch ohne die Finanzkrise wäre die Schweiz früher oder später auf schwarze Listen gelangt, wenn sie nicht reagiert hätte. In diesem Sinn hat Frau Widmer-Schlumpf sehr schnell und dossierfest versucht, sich unter schwierigen innenpolitischen Umständen einigermassen den globalisierten Spielregeln anzupassen.

Bundesrätin Widmer-Schlumpf wurde stark von Vertretern des Finanzplatzes angefeindet, als «Totengräberin des Finanzplatzes» Schweiz beargwöhnt. Hat sie aber mit der UBS-Rettung, der Weissgeld-Strategie und den «Too big to fail»-Regeln nicht auch wesentlich zu dessen Stärkung beigetragen?

Eigentlich hat sie den Banken geholfen. Einige Winkelbankiers waren natürlich nicht einverstanden. Aber gerade den Grossbanken hat sie nach ihren krummen Touren die Kohlen aus dem Feuer geholt – in den USA, auch gegenüber der OECD. Und sie hat versucht, das Prestige der Schweiz zu verteidigen und zu retten. Heute nehmen die Grossbanken klar und offen Stellung und sind froh, um die Unterstützungsaktion, die Frau Widmer-Schlumpf geboten hat.

Das Gespräch führte Klaus Bonanomi.

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