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Spionage Der Hotelier des «Rössli» in Meiringen – ein Spion Chinas?

David W. hat die Schweiz im Jahr 2023 überstürzt verlassen. Er kaufte ein Hotel neben dem Militärflugplatz in Meiringen (BE) und studierte an der Hotelfachschule in Leysin (VD). Er steht im Verdacht, ein chinesischer Spion zu sein.

Das Hotel Rössli in Unterbach im Kanton Bern war am 26. Juli letzten Jahres Schauplatz eines Polizeieinsatzes. Beamte in Zivil durchsuchten das Haus und nahmen Festnahmen vor. Der «Tagesanzeiger» berichtete über den Polizeieinsatz und den Spionageverdacht.

Beim Hotelbesitzer soll es sich um einen chinesischen Geheimdienstagenten handeln. Sein Name ist David W*. Der junge Mann führt das Hotel Rössli zusammen mit seinen Eltern. Alle drei sind Chinesen, ursprünglich aus Peking.

Kleiner Flughafen auf ländlichem Gebiet, rechts eingekreist ein Holzhaus, das Hotel Rössli.
Legende: Der Militärflugplatz Meiringen, an den der Gasthof Rössli angrenzt. RTS

Das Hotel Rössli ist charmant, in die Jahre gekommen und liegt abseits der Touristenpfade. Das Hotel liegt direkt am Rande des Militärflugplatzes Meiringen. Ein idealer Standort für eine Spionageaktion, denn die Zimmer haben einen direkten Blick auf die Landebahn.

2018 absolvierte das US-Kampfflugzeug F-35 mehrere Testflüge in Meiringen. Hier sollen diese Kampfjets ab dem Jahr 2027 starten und landen. Die Schweizer Armee hat 36 davon bestellt.

Offiziell spricht niemand von Spionage

China versucht mit allen Mitteln, an Informationen über die F-35 zu gelangen. In den vergangenen Jahren wurden mehrere chinesische Spionageversuche in den USA aufgedeckt. Amerikanische Medien berichten von mehr als hundert Eindringversuchen chinesischer Bürger auf Militärflugplätzen. Sehr oft geben sie sich als Touristen oder Geschäftsleute aus, und manchmal waren sie mit Drohnen ausgerüstet.

Am Flugplatz Meiringen macht die Polizei keine Angaben zum Schweizer Fall: «Wir können bestätigen, dass am 26. Juli 2023 eine Intervention der Berner Kantonspolizei stattgefunden hat. Bei dieser Intervention wurde eine Person vorläufig festgenommen. Eine zweite Person wurde für weitere Ermittlungen ebenfalls auf einen Polizeiposten gebracht. Beide wurden nach Abschluss der Ermittlungen wieder freigelassen.»

Ausgestellter Kampfjet auf Stahlvorrichtung
Legende: Ein Kampfjet, der in der Nähe des Gasthofs Rössli ausgestellt ist. RTS

Von Spionage war nicht die Rede. Offiziell endete der Fall mit einem einfachen Gerichtsbeschluss. David und seine Eltern wurden zu Bewährungsstrafen und einer Geldstrafe von mehreren Tausend Franken verurteilt – wegen illegalen Aufenthalts in der Schweiz sowie wegen des Betriebs eines Hotel-Restaurants ohne Bewilligung und ohne Arbeitsbewilligung.

Seit Bekanntwerden der Affäre nehmen die Militärs die Sache sehr ernst. In Meiringen bewachen sie das Haus und lassen keine Schaulustigen in die Nähe des Hotels. Ein Team der RTS-Sendung «Mise au Point» musste auf Aufforderung von Militärpolizisten das Gelände verlassen. Der Betrieb ist geschlossen. Vom Besitzer, David, fehlt jede Spur. Seine Präsenz in den sozialen Netzwerken wurde gelöscht.

Foto von David in einem Jahrbuch

In Meiringen scheint ihn kein Nachbar je gekannt zu haben. David hat das Hotel 2018 für 800'000 Franken gekauft. Am Telefon erklärt der ehemalige Besitzer, dass der junge Mann bei der Unterzeichnung des Kaufvertrags von seinen chinesischen Eltern begleitet wurde. Sie sprachen sehr gut Deutsch. Fünf Jahre lang haben sie das Hotel geführt.

Ländliches Gebiet, links Postauto, rechts Holzhaus mit Aufschrift «Gasthof Rössli»
Legende: Der Gasthof Rössli in Meiringen, in dem der junge chinesische Besitzer der Spionage beschuldigt wird. RTS

Gemäss den Recherchen von «Mise au Point» konnte sich David in der Schweiz aufhalten, weil er sich an einer Hotelfachschule eingeschrieben hatte. Er liess sich zunächst in Leysin (VD) nieder, wo er die Schweizer Hotelfachschule SHMS besuchte. Das ist eine Schule, die von Schülern aus wohlhabenden Familien, hauptsächlich aus asiatischen Ländern, besucht wird.

Im SHMS-Schuljahrbuch 2018 ist eines der wenigen Fotos von David zu sehen. Er trägt Anzug und Krawatte, sein Haar ist zurückgekämmt. Der 1996 geborene junge Chinese hat über 140'000 Franken bezahlt, um ein dreijähriges Bachelorstudium zu absolvieren.

Aufgeschlagenes Buch, acht verschwommene Porträtfotos von Personen
Legende: Ein Foto von David (unten links) im Schuljahrbuch. RTS

RTS hat erfolglos versucht, David für einen Kommentar zu diesem Artikel am Telefon zu erreichen. Gemäss der Einwohnerkontrolle Meiringen hat er die Gemeinde im Sommer 2023 mit unbekanntem Ziel verlassen. Der Schweizer Nachrichtendienst lehnte auf Anfrage eine Stellungnahme ab. Von den chinesischen Behörden blieben Briefe von RTS an die Botschaft unbeantwortet.

*Namen sind der Redaktion von «Mise au point» bekannt.

Peking setzt auf einfache Leute als Spione

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Wenn es um Spionage geht, ist Ariane Knüsel eine der führenden Expertinnen Europas. Die Schweizer Historikerin hatte Akten der Bundespolizei im Bundesarchiv untersucht. «In den Akten der Bundespolizei wird ersichtlich, dass Spionagefälle oft von einfachen chinesischen Bürgern durchgeführt werden. Sie sind selten Profis. Die chinesische Regierung bittet sie um einen Gefallen.»

Knüsel nennt das Beispiel von Herrn T*. Ohne seinen richtigen Namen zu nennen, erklärt die Forscherin: «Gemäss dem Bundesarchiv wurde dieser Student der ETH Zürich bei der Spionage für China erwischt. Seine Hauptaufgabe war es, Informationen über chinesische Studenten und Dissidenten zu liefern.» Herr T. habe fast jeden Monat tausend Franken erhalten, die er bei der chinesischen Botschaft in Bern abholte. Die chinesische Regierung habe ihm die Bahnfahrt und sogar einmal ein Ticket für den Zirkus bezahlt.

Der Mann wurde schliesslich still und leise aus der Schweiz ausgewiesen. Danach absolvierte er in den Niederlanden ein Studium und gründete ein Unternehmen. Er arbeitete mit allen grossen westlichen Ölgesellschaften zusammen.

RTS konnte Herrn T. identifizieren und ihn kontaktieren. Er antwortete per Post: «Die Ereignisse, auf die Sie sich beziehen, liegen Jahrzehnte zurück. Die Angelegenheit ist zur Zufriedenheit aller Parteien geregelt worden. Ich möchte nicht antworten. Ich betrachte dies als Belästigung und Verletzung meiner Privatsphäre», schrieb er.

Blick über die Sprachgrenzen

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch und wurde durch die «dialog»-Redaktion übersetzt. Die Originalversion können Sie auf  RTS  lesen.

«dialog»  ist das Angebot der SRG, das mit Debatten und dem Austausch von Inhalten Brücken baut zwischen Menschen in allen Sprachregionen sowie Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.

RTS, Mise au point, 14.4.2024;kobt

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