Hühner, die hinken oder sich nur mühsam fortbewegen können, andere mit entzündeter Haut: Das ist auf den Bildern zu sehen, welche die Westschweizer Tierschutzorganisation Observatoire du spécisme veröffentlicht hat.
Das sagt der Branchenverband SGP (mit dt. Untertiteln)
Sie stammen von versteckten Kameras in einem Waadtländer Mastbetrieb, der für den Migros-Konzern Micarna arbeitet. Die dort gehaltenen Tiere gehören zur Masthühnerrasse Ross 308.
Wir haben Hühner geschaffen, die einen völlig dysfunktionalen Körper haben, geformt von und für die Interessen der Industrie.
Hinter diesem Labornamen verbirgt sich eine speziell gezüchtete Rasse, die besonders schnell gemästet werden kann. So erreichen die Küken, die bei der Geburt etwa 40 Gramm wiegen, in 35 Tagen etwa zwei Kilo, also das 50-fache ihres ursprünglichen Gewichts. Dann sind sie schlachtreif.
Schmerzen und Verletzungen
Doch dieses rasante Wachstum geht oft mit gesundheitlichen Schäden einher. «Wir haben Hühner geschaffen, die einen völlig dysfunktionalen Körper haben, geformt von und für die Interessen der Industrie», kritisiert Pia Shazar, Sprecherin des Observatoire du spécisme, gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).
Sie ergänzt: «Vor allem die Beine machen Probleme: Sie können das Gewicht kaum tragen, daher kommt es viel häufiger zu Knochenschäden.» Zudem beklagt Shazar Herz- und Lungenversagen, das zu einer deutlich höheren Sterblichkeit führe im Vergleich zu langsam wachsenden Rassen.
Verzicht auf Rosse-308-Hühner?
Auf Anfrage von RTS antwortet Migros-Sprecher Tristan Cerf: «Die Betriebe unserer Produzenten sind unabhängige Unternehmen, die verpflichtet sind, unsere Standards sowie die gesetzlichen Anforderungen bezüglich Tierwohl, Nachhaltigkeit und Qualität zu respektieren. Die Micarna-Gruppe überprüft regelmässig deren Anwendung.»
Wird dennoch eine andere Hühnerrasse für die Micarna-Betriebe geprüft? «Wenn diese Debatte in der Schweiz stattfinden soll, muss sie nach den Regeln unseres Landes ablaufen, das heisst in einem Branchenrahmen», so Cerf gegenüber RTS.
Schweizer Markt unter Spannung
Gemäss RTS-Informationen führen auch die anderen grossen Detailhändler wie Coop, Lidl und Aldi Ross-308-Hühner in ihrem Sortiment.
Laufen Diskussionen innerhalb des Branchenverbands? «Wenn man von uns verlangt, etwas anderes zu produzieren, werden wir das tun. Es ist eher der Markt, der diktiert», antwortet Jacques Clément, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Geflügelproduzentenverbands (SGP).
Man müsse Kompromisse eingehen zwischen dem Interesse des Tieres und dem wirtschaftlichen Interesse, ergänzt Clément. Der Freiburger züchtet Bauernhofhühner auf seinem Betrieb, plädiert aber nicht für den Stopp von schnell wachsenden Hühnern: «Man braucht deutlich weniger Futter für die Produktion eines Standardhuhns (wie Ross 308) als für ein Bauernhofhuhn», präzisiert er.
Folglich hätte die Aufgabe von schnell wachsenden Stämmen zwei grosse Auswirkungen auf den Schweizer Markt: eine Zunahme der Importe und eine Preiserhöhung für Schweizer Hühner «in der Grössenordnung von 20 bis 50 Prozent».