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Zwei Betroffene erzählen Sexueller Missbrauch: «Es zerbricht eine Familie»

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass zwei bis drei Kinder pro Klasse von sexuellem Missbrauch in der Familie betroffen sind. RTS hat eine Betroffene und einen Betroffenen getroffen.

Jedes siebte Kind in der Schweiz erlebt sexualisierte Gewalt durch einen Erwachsenen. Eine Betroffene davon ist Joséphine. Jahrelang leidet sie unter Panikattacken, ohne zu wissen, woher sie kommen. «Sie brachen heftig aus und konnten stundenlang, manchmal tagelang dauern. Es war ein unerträglicher Schmerz, wie ein Loch im Herzen.»

Was Joséphine erlebt, ist eine traumatische Amnesie. Ein Schutzmechanismus des Gehirns, der bestimmte Erinnerungen für mehrere Monate oder gar Jahre blockiert, weil sie so unüberwindbar sind. Diese Gedächtnisstörung betrifft etwa 60 Prozent der Menschen, die sexuellen Missbrauch erlitten haben.

Schliesslich erinnerte sich Joséphine vor vier Jahren an alles. Den Geschmack des Spermas ihres Vaters im Mund, seine Stimme, die sagte, sie solle schlucken, die sagte, dass Väter das mit ihren Töchtern tun würden.

Als Kind hat Joséphine ihrer Grossmutter davon erzählt, aber diese hatte ihr nicht geglaubt. Sie hat sich daraufhin in ihr Schweigen eingeschlossen. Wie viele Kinder, denen man nicht zuhört, so Carmen Del Fresno, Psychotherapeutin und Leiterin eines Zentrums für Opferhilfe in Genf. «Das äussert sich in Verhaltensstörungen, Krankheiten oder Be­ziehungs­schwierig­keiten.»

«Die Scham hat die Seite gewechselt»

In allen Fällen ist es schwierig, Beweise zu erbringen, und die Verfahren sind für die Betroffenen belastend, da sie ihre Traumata ein zweites Mal durchleben müssen. Auch für Thomas, der von seinem Cousin vergewaltigt wurde, war dies belastend: «Die Richter sind nicht dazu da, Empathie zu zeigen. Sie stellen klinische und faktische Fragen zur Vergewaltigung.»

Trotzdem bereut er seine Entscheidung nicht: «Die Scham hat die Seite gewechselt. Mein Cousin musste sich rechtfertigen, nicht ich.»

Als Thomas Anzeige erstattete, unterstützten ihn seine Eltern und Geschwister. Ein Teil der Familie stellte sich jedoch hinter seinen Cousin. «Ich hatte das Gefühl, der Böse in der Geschichte zu sein», sagt Thomas gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. «Von dem Moment an, in dem ich gesprochen hatte, waren wir nicht mehr die perfekte Familie. Das ist der Preis des Missbrauchs, er macht eine Familie kaputt.»

Prävention von klein auf

In allen Westschweizer Kantonen lernen Kinder ab fünf Jahren im Sexualkundeunterricht ihr Recht auf Intimität. Nach dieser Aufklärung steigt die Zahl der Meldungen über sexuellen Missbrauch.

«Es muss darüber gesprochen werden, damit sich mehr Menschen Gedanken darüber machen, wenn ein Kind seinen Onkel partout nicht sehen will. Es steht dem Täter nie auf die Stirn geschrieben, dass er ein Vergewaltiger ist», sagt Joséphine.

La Matinale RTS, 22.11.2024, 7.20 Uhr

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