Das Wichtigste in Kürze
- Das Kantonsgericht muss beurteilen, ob die Polizei-Chefs im März 2016 verhältnismässig gehandelt haben bei einer Razzia mit Todesfolge.
- Die Luzerner Polizeispitze hat am Donnerstag vor dem Kantonsgericht ihr Vorgehen bei der tödlich ausgegangenen Hanf-Razzia vom März 2016 in Malters erneut verteidigt.
- Eine 65-jährige Frau, die sich in der besagten Wohnung ihres Sohnes aufhielt, verweigerte der Polizei den Zutritt und feuerte zwei Schüsse ab. Während der Intervention erschoss sich die Frau.
- Mit der Intervention zuzuwarten sei keine Option gewesen, versicherte Kripochef Daniel Bussmann erneut vor Gericht.
Aussagen des Kripochefs Daniel Bussmann
Bussmann wurde als erster Beschuldigter befragt. Er schilderte nochmals ausführlich, wie er den Einsatz mit den 19-stündigen Verhandlungen erlebt hatte.
Als er am zweiten Tag um 6 Uhr in der Früh in Malters die Einsatzleitung übernommen habe, gab es einen Übergaberapport. «Das Fazit war: Die Verhandlungen in der Nacht waren äussert schwierig», sagte Bussmann.
Die Frau wurde als sehr gefährlich und unberechenbar eingeschätzt. Sie blockte alles ab, war dominant und gab den Ton an. Sie sagte laut Bussmann auch, sie werde unter keinen Umständen in die Psychiatrie gehen.
«Ich konnte nicht mehr zuwarten»
Gegen 10 Uhr sei der Entscheid gefallen, dass die Verhandlungen mit der Frau gescheitert seien und ein Zugriff geplant werden soll. Der aufgebotene Psychologe schätzte die Frau laut Bussmann zwar als «brandgefährlich und unberechenbar» ein. Trotzdem sprach sich dieser gegen eine Intervention aus. Er riet dazu, weiterhin abzuwarten.
Gerichtsvorsitzender Peter Arnold bohrte an dieser Stelle mehrmals nach. Er wollte unter anderem wissen, weshalb er den Rat des Polizeipsychologen nicht befolgt habe.
«Ich konnte nicht mehr zuwarten. Wir befanden uns in einer Endlosschlaufe, die Verhandlungen mit der Frau waren gescheitert und ich trug die Verantwortung für den Einsatz», sagte Bussmann.
Ein vollständiger Abbruch des Einsatzes sei auch diskutiert worden, sagte Bussmann auf die Frage eines Richters - aber nicht in Frage gekommen. Es sei geschossen worden, das Gefahrenpotenzial sei gross gewesen.
Aussagen des Luzerner Polizeikommandanten Adi Achermann
Als zweiter wurde der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann befragt. Als er am Morgen zwischen 8 und 9 Uhr vor Ort eintraf, habe er erkannt, dass ein systematischer Prozess am Laufen sei, versicherte er.
So beschloss er, sich um die Medien zu kümmern und die Gemeinde zu informieren. Es habe keine Argumente gegen eine Intervention gegeben, sagte Achermann und betonte, auch der Psychologe hätte sich nicht grundsätzlich gegen eine Intervention ausgesprochen. «Nur gegen den Zeitpunkt.»
Vorwürfe des Privatklägers
Der Sohn der Frau, die sich während des Polizeieinsatzes das Leben nahm, ist noch immer von der Schuld der Angeklagten überzeugt, wie sein Anwalt vor den Kantonsrichtern ausführte.
So kam der Anwalt Oskar Gysler am Ende seines eineinhalbstündigen Plädoyers am Donnerstag erneut zum Schluss: «Der Zugriff war klar unverhältnismässig.»
Ein Auszug aus dem Funkprotokoll zeige auf, dass für Kripochef Daniel Bussmann schon am Morgen klar war, dass der Zugriff vor dem Mittag erfolgen soll, sagte Gysler. Es sei gefunkt worden, die Intervention erfolge, egal ob die Frau schlafe oder sich verbarrikadiere. Der Kläger will bewiesen haben, ob Bussmann diesen Befehl funkte und - wenn nicht - wer sonst. Der Kripochef selber betonte an der Verhandlung, dass er nicht an diesem Funkverkehr beteiligt war.
«Einige Dinge gingen schief»
Der ausserordentliche Staatsanwalt, der Aargauer Christoph Rüedi, betonte die Komplexität des Falls. Das Urteil der Vorinstanz scheine ihm vertretbar, er zog dieses denn auch nicht weiter. Dennoch betonte er: «Es bestehen gewichtige Argumente, die zu einem Schuldspruch führen könnten.»
Allen sei klar gewesen, dass die Frau psychisch krank war. Das Ausmass der Erkrankung sei nicht entscheidend. «Sie war in einer Stresssituation und verkannte die Realität und konnte nicht frei entscheiden, ob sie weiterleben oder Suizid begehen wolle», sagte Rüedi.
Er stellte nochmals die Frage, ob man nicht doch hätte weiterverhandeln oder den Sohn konsultieren sollen. «Zweifellos gingen beim Einsatz einige Dinge schief», sagte Rüedi.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt.