Glatte Haut, pralle Lippen und funkelnde Augen: Tiktok-Filter verwandeln jedes Gesicht in Kürze in eines, das dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Und die virtuellen Versionen wirken erstaunlich echt. Weshalb Perfektion bei der Darstellung von Gesichtern für uns so eine wichtige Rolle spielt, erklärt Valentin Groebner.
SRF News: Woher kommt der Wunsch, das eigene Gesicht zu optimieren?
Valentin Groebner: Das Gesicht ist unser Kommunikationsinterface für die anderen Menschen. Dafür ist es gemacht und deswegen können wir es so stark bewegen. Seit wir auf der Welt sind, werden wir darauf trainiert, Gesichtsausdrücke anderer in Bezug auf uns sehr genau wahrzunehmen und sehr, sehr schnell zu interpretieren.
Nicht nur in den sozialen Medien ist die Darstellung von Gesichtern allgegenwärtig, sondern etwa auch in der Werbung. Was macht das Gesicht als Sujet so beliebt?
Wir sind darauf programmiert, mit Gesichtern zu interagieren. Es ist gar nicht so einfach, mit jemandem zu sprechen, dessen Gesicht man nicht sieht.
Wir wollen die Kontrolle darüber haben, wie andere uns sehen. Deswegen frisieren wir uns oder legen Make-up auf oder lassen uns einen Schnauz wachsen.
In ein Gesicht zu schauen, ist eine Kommunikationssituation, die wir mit Vertrauen assoziieren. Und deswegen setzt die Werbung sehr gerne und sehr massiv auf die Wiedergabe von Gesichtern, seit man Gesichter reproduzieren kann.
Die Optimierung von Gesichtern polarisiert, das zeigt etwa Tiktok. Viele Nutzerinnen und Nutzer kritisieren einen neu lancierten, realistischen Beautyfilter. Warum ist die Optimierung von Gesichtern für viele offenbar ein Problem?
Wir wollen die Kontrolle darüber haben, wie andere uns sehen. Deswegen frisieren wir uns oder legen Make-up auf oder lassen uns einen Schnauz wachsen. Wir möchten abschätzen können, wie andere uns sehen. Ein Filter, den wir nicht selbst installiert haben, dessen Parameter wir von vornherein nicht vollständig kontrollieren können, erfordert viel Vertrauen ins Medium. Manche User und Userinnen haben das, andere möchten nach wie vor wissen, wie sie eigentlich aussehen.
Der neue Tiktok-Beautyfilter strebt etwa pralle Lippen, grosse Augen und strahlend weisse Zähne an. Wie hat sich das Ideal des schönen Gesichts im Laufe der Zeit gewandelt?
Das schöne Gesicht ist ein Gesicht, das so perfekt verschönert worden ist, dass es echt und frisch und authentisch wirkt. Lange waren selbst gemachte, bewegte Bilder aus den sozialen Medien eine Art von Authentizitätsversprechen. Wenn ich ein bisschen verpixelt und selber gemacht bin oder so wirke, bin ich besonders echt. Schönheitsideale sind nie neutral, sie verstärken bestehende Stereotype vom eckigen Kinn und vermeintlicher männlicher Stärke und vermeintlicher weiblicher, grossäugiger Sanftheit.
Schönheitsideale sind nie neutral. Sie verstärken bestehende Stereotype.
Vielfach werden Männer mit Beautyfiltern etwas dunkler, als sie sind und Frauen etwas heller. Es gibt eine ganz verrückte Art von Macht der Stereotype, die niemandes Meinung sind. Aber jeder möchte ein bisschen mehr dem Stereotyp entsprechen, dabei aber er oder sie selber bleiben.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.