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Bisphenol-Analyse Schadstoffe in Baby-Beissringen

Ausgerechnet in Baby-Produkten findet ein Testteam Bisphenole. Der Bund überlässt die Verantwortung den Herstellern.

Von zehn Beissringen fanden Wissenschaftler der Universität Lausanne bei der Hälfte Bisphenol A (BPA) – ein Schadstoff, der bereits in geringen Mengen Krankheiten verursachen kann (siehe Box). Die Baby-Artikel gaben im Test zwar nur kleinste Mengen davon ab – aber dies bei Produkten, die Kleinkinder in den Mund nehmen und die Hersteller gerne als «vollkommen unbedenklich» oder «schadstofffrei» bewerben.

So wurde getestet

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Für die Durchführung der Tests schneidet das Testteam der Universität Lausanne (Chemikerin Fiorella Lucarini und Toxikologe David Staedler) gleich grosse Stücke aus den verschiedenen Produkten und legt diese in künstlichen Speichel.

Während dreissig Minuten werden die Proben bei 37 Grad leicht geschüttelt, um ein möglichst realitätsnahes Testverfahren zu erreichen. Denn Bisphenole sind Weichmacher und können sich beim Kauen lösen.

Die neu entwickelte Methode des Testteams ist imstande bereits kleinste Mengen von Bisphenolen nachzuweisen.

Realitätsnahes Testverfahren

In Zusammenarbeit mit dem Westschweizer Konsumentenmagazin FRC haben Chemikerin Fiorella Lucarini und Toxikologe David Staedler von der Universität Lausanne 10 Beissringe auf 11 verschiedene Bisphenol-Typen untersucht. Die Produkte sind vor allem aus Kunststoff oder Kautschuk. Die beiden Wissenschaftler haben eine neue Methode entwickelt, die es ermöglicht, Bisphenole in sehr kleinen Mengen festzustellen. Fiorella Lucarini: «Wir wollten die tatsächlichen Kaubedingungen zudem so weit wie möglich simulieren und haben Speichel verwendet.» Das Verfahren der europäischen Norm sieht stattdessen Wasser vor.

Bisphenol A

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Bisphenol A – auch BPA genannt – ist eine chemische Verbindung. Davon werden pro Jahr rund 6 Millionen Tonnen synthetisch hergestellt. Es ist ein Grundbaustein für die Produktion von Polycarbonat, ein weit verbreiteter Kunststoff. Bisphenol A ist Bestandteil vieler Produkte des täglichen Gebrauchs wie zum Beispiel Plastikflaschen, Spielzeug, Thermopapier oder der Auskleidung von Konservendosen.

Medizinische Experten und die WHO kategorisieren Bisphenol A – das bekannteste aller Bisphenole – als einen hormonaktiven Stoff. Sie sehen als erwiesen an, dass Bisphenol A – auch BPA genannt – bereits in kleinsten Mengen beim Menschen zur Entstehung von Krankheiten wie Diabetes mellitus, Fettleibigkeit, Störungen der Schilddrüsenfunktion und der Entwicklung sowie zur Unfruchtbarkeit beiträgt. In hohen Mengen ist BPA toxisch für Leber und Nieren.

Verbot nur für Babyflaschen

Für Babyflaschen gibt es in der Schweiz seit 2017 ein Verbot für BPA, für Spielzeug seit 2018 einen Grenzwert. Nicht mehr als 0,04 Milligramm BPA darf pro Liter aus dem Spielzeug austreten. Doch ausgerechnet für Nuggis und Beissringe – Produkte, die Kleinkinder ständig im Mund haben – gibt es keine Grenzwerte. Im Gegensatz etwa zu Österreich, dort ist BPA seit 2012 in Schnullern und Beissringen verboten.

Weitere Informationen zu Bisphenol

Selbstverantwortung der Hersteller

Das ist für Judith Deflorin vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) kein Problem. Sie verantwortet die rechtlichen Grundlagen von Babyartikeln: «Die Hersteller sind dafür verantwortlich, dass Kinder Bisphenol nicht in gesundheitsgefährdenden Mengen aufnehmen können.» Beruhigend sei auch, dass die gefundenen Mengen an BPA weit unter dem Spielzeug-Grenzwert lägen.

Resultate im Überblick:

Testtabelle

Andere Bisphenole nicht unbedenklich

Neben BPA fand das Testteam der Universität Lausanne noch weitere Bisphenol-Substanzen. 7 der 10 getesteten Beiss-Produkte enthalten andere Typen – zwar in kleinen Mengen, aber häufig mehrere gleichzeitig in einem einzigen Produkt. Wie schädlich andere Bisphenoltypen sind, ist bis jetzt weniger gut untersucht als bei BPA. Doch es gibt klare Hinweise, dass auch sie nicht unbedenklich sind. Dazu Chemikerin Fiorella Lucarini: «Es gibt neue wissenschaftliche Studien, welche die Toxizität auch von anderen Bisphenol-Substanzen wie Bisphenol-S, -M oder -Z zeigen.»  

Das sagen Hersteller

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Zum BPA in Beiss-Produkten trotz Deklaration «BPA-frei» auf der Verpackung oder im Internet:

Nuby: «Der gemessene Wert liegt mehr als 30-fach unter dem erlaubten Grenzwert für Spielzeug. Wir sind bestrebt, BPA noch mehr und ganz ausschliessen zu können. Auf der neuen Verpackung steht: «Bisphenol A entspricht der europäischen Gesetzgebung.»

MAM: «Bei der Herstellung unserer Produkte und Verpackungen verwenden wir keine Bisphenole. BPA-Kontrollen werden von MAM regelmässig in zertifizierten externen und neutralen Drittlaboren durchgeführt und gemäss unseren Lieferanten auch nicht in den Rohstoffen und Farbstoffen enthalten ist, die bei der Produktion verwendet werden. Bereits kleinste Verunreinigungen – zum Beispiel aus der Umwelt, während des Testprozesses im Labor – können jedoch dazu führen, dass Spuren von Bisphenolen erkannt werden, die jedoch selbstverständlich im vom Gesetzgeber dafür vordefinierten Rahmen bleiben müssen.»

Vulli: «Sophie la girafe® und ihr Beissring entsprechen den geltenden Rechtsvorschriften.
Wir verwenden den Begriff BPA-frei nicht auf unseren Verpackungen, ausser mit dem Hinweis «gemäss den geltenden Vorschriften». Unsere BPA-Analyseberichte besagen, dass in Sophie la girafe® kein BPA nachgewiesen werden kann.»

Zu Bisphenolen allgemein in Beiss-Produkten:

Simba: «Als Spielwarenhersteller steht die Sicherheit von Kindern für uns an erster Stelle.
Wir fühlen uns den staatlich festgelegten Gesetzen und Verordnungen verpflichtet. Dabei setzen wir voraus, dass der staatliche Gesetzgeber und seine Behörden ebenso wie wir vorrangig das Wohl von Kindern im Auge hat.»

Bisphenole könnten auch von den Verpackungen stammen – so die Vermutung des Testteams der Universität Lausanne. Wenn Verpackungen Schadstoffe an Produkte abgeben, liegt dies ebenfalls in der Verantwortung der Hersteller.

BPA gefunden, trotz Deklaration «BPA-frei»

Bei 4 von 10 Produkten fand das Testteam Bisphenol A, obschon die Hersteller sie auf der Verpackung oder online mit BPA-frei angeschrieben hatten. «Die Deklaration liegt in der Verantwortung der Hersteller», betont Judith Deflorin vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit. Für die Kontrolle zuständig seien die Kantone.

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Die Verbreitung von Bisphenolen in Babyprodukten ist für Chemikerin Fiorella Lucarini problematisch: «In den positiv getesteten Gegenständen wurden zwar keine hohen BPA-Mengen gefunden. Aber da diese Produkte für einen längeren Kontakt im Mund bestimmt sind, können sie eine erhebliche Gefahrenquelle darstellen.» Die Selbstverantwortung der Hersteller reiche deshalb nicht aus: «Die Anpassung der Gesetze auf der Grundlage der neuesten Studien wäre wichtig.»

Kassensturz, 28.06.22, 21:05 Uhr

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