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Diagnose Hodenkrebs Warum sich junge Männer öfter in den Schritt fassen sollten

Hodenkrebs ist die häufigste Krebsart bei jungen Männern. Wie wichtig ist das Abtasten der eigenen Hoden?

Das Militär bleibt für viele junge Männer der einzige Berührungspunkt mit Hodenkrebs. An der Genitaluntersuchung bei der Rekrutierung kommt nur vorbei, wer sich weigert.

Dort geistert auch der Name EKG, Eierkontrollgriff, herum. Der falsche Name zeigt: Im Vorfeld wird zwar viel über das Abtasten der Hoden diskutiert, aber wenig Ernstes erzählt. Obwohl immer noch tabuisiert, bleibt den meisten dieser Moment lange in Erinnerung.  

Moderator Livio Carlin und der Betroffene Fabio laufen auf einer Brücke
Legende: «Ich kann mich gut an die Rekrutierung erinnern. Das war mir damals etwas unangenehm, aber danach habe ich mir 13 Jahre lang keine Gedanken mehr gemacht», sagt Fabio. SRF

Auch für Fabio blieb dies bis zu seiner Diagnose im letzten Herbst der einzige Kontaktpunkt mit der Thematik Hodenkrebs. «Es fing mit einem Ziehen in der Leiste an, der Hoden war verhärtet und da habe ich schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich schon abgetastet, aber ich wusste nicht genau, worauf man achten muss.»

Wie tastet man Hoden ab und was bringt das?

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  • Hoden mit Zeigefinger und Daumen einzeln hin und her bewegen. Sind Veränderungen oder Knoten spürbar?
  • Haben sich Grösse und Gewicht verändert?
  • Die Hoden im Spiegel anschauen. Sehen die Hoden vergrössert oder geschwollen aus?
  • Bei Schmerzen im Hoden, Hodensack oder Unterbauch sowie Verhärtungen sollte man sich medizinischen Rat holen.
  • Beim Tasten kann man auch den Nebenhodenkopf auf dem Hoden ertasten, der sich etwas weicher anfühlt als der Hoden selbst.

Generell wird empfohlen, dies einmal pro Monat zu machen, weil Hodenkrebs damit früh erkannt werden kann. Wissenschaftlich gesehen, bräuchte es aber noch genauere Daten, um den Einfluss des Abtastens auf die Früherkennung zu messen.

Nach der Rekrutierung tasten sich die wenigsten Männer selbst ab. Frauen hingegen, lernen bei der ersten gynäkologischen Untersuchung ihre Brüste auf Knoten zu untersuchen. Ein Erklärungsansatz für den unterschiedlichen Stellenwert des Abtastens dürften auch die Fallzahlen sein: Während laut Daten der Krebsliga pro Jahr 6500 Frauen an Brustkrebs erkranken, bleibt Hodenkrebs selten: Knapp unter 500 Fälle werden pro Jahr neu diagnostiziert.

Angst vor Krebs ist menschlich, aber es kommt auch oft vor, dass Patienten zum ersten Mal ihre Nebenhoden tasten und dann denken, sie hätten Krebs.
Autor: Christian Fankhauser Urologe

Bei jungen Männern ist Hodenkrebs aber die häufigste Krebsart. «Beim Hodenkrebs nimmt man an, dass der Krebs schon im Hoden ist und bereits nach 20 Jahren wächst, während es bei der Prostata eher 40 oder 50 Jahre sind», sagt Christian Fankhauser, Professor für Urologie und Arzt am Luzerner Kantonsspital.

Der Arzt im weissen Kittel sitzt dem Moderator gegenüber
Legende: Der Urologe Christian Fankhauser hat sich auf Hodentumore spezialisiert. «Es sind in der Regel junge Patienten, die eher nervös sind. Oft tastet auch jemand zum ersten Mal den Nebenhoden und denkt dann, er hat Krebs.» SRF

Die Fälle haben aber über die Jahre zugenommen: Die Schweiz weist zusammen mit anderen europäischen Ländern eine der höchsten Inzidenzen auf. Die Gründe dafür sind allerdings unklar. «Es gibt genetische Faktoren, die Umwelt kann eine Rolle spielen und in der Schweiz werden Fälle im internationalen Vergleich auch besser dokumentiert», so Fankhauser.

Der Moderator und der Chirurg im Gespräch.
Legende: Agostino Mattei, Chefarzt Urologie am Luzerner Kantonsspital: «Bei Hodenkrebs muss der Hoden fast immer ganz entfernt werden.» SRF

Häufig muss der Hoden operativ entfernt werden. Das hat einen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit und deshalb lassen die meisten Betroffenen Spermien einfrieren für einen allfälligen Kinderwunsch.

Der Moderator schaut sich eine Hodenprothese an.
Legende: Eine Prothese kann für viele Männer aus ästhetischen Gründen eine Option sein. SRF

Die Hodenentfernung war für Fabio aber nicht der schwierigste Teil: «Nach der Operation habe ich gedacht, dass das jetzt einfach verheilen muss. Dann hiess es, ich müsse eine Chemotherapie machen. Ich habe meinen Körper nicht mehr gespürt, war konstant benebelt, bekam Haarausfall, hatte überall Akne und fühlte mich ekelhaft. Mir ging’s richtig mies.»

Fabio sitzt mit zwei Freundinnen in einem Kaffee.
Legende: «Wir haben unseren Freundeskreis in einer Excelliste organisiert. Wer holt Fabio von der Chemotherapie ab, wer kocht mit ihm? Er war an keinem Termin allein. Das hat auch geholfen, um all die Informationen überhaupt aufzunehmen», sagen Nastasia und Imma, enge Freundinnen von Fabio. SRF

Noch in den Siebzigerjahren war Hodenkrebs sehr tödlich, bis die Chemotherapie die Behandlung revolutionierte. Heute kann rund 95 Prozent der Patienten geheilt werden, auch solche, die bereits Ableger haben.

Laut Urologe Fankhauser benötigen ungefähr ein Viertel der Patienten eine Chemotherapie. Gerade weil Patienten aber sehr jung seien, verzichte man wenn möglich. «Man weiss, dass junge Leute nach einer Chemotherapie häufiger Herzinfarkte, Hirnschläge und Depressionen haben, ganz viele Nebenwirkungen, die mit jedem Jahr schlimmer werden können.»

Ärztin, Therapeut und Fabio im Gespräch
Legende: Sportwissenschaftler Silvio Catuogno begleitet Fabio beim Training. Nach einer Chemotherapie kann Sport die Nebenwirkungen lindern. Das Training an der Universitätsklinik Balgrist ist individuell angepasst und berücksichtigt krebsspezifische Faktoren, wie die sogenannte Fatigue, also Müdigkeit. SRF

«Diese Nebenwirkungen können durch Sport und Bewegung reduziert werden. Spezifisch bei Hodenkrebs kann Bewegung die Gesamtmortalität, also die Gefahr, an Krebs oder Folgeerkrankungen zu sterben, um bis zu 50 Prozent reduzieren», sagt Nora Wieloch, Oberärztin an der Universitätsklinik Balgrist. Angst davor, dass der Krebs zurückkommt, hat Fabio nicht, obwohl die Gefahr real ist. «Ich weiss, wo ich mir dann Hilfe hole.»

«SRF Impact»

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Legende: SRF

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SRF 3, 25.01.2024, 11:10 Uhr

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