Das Militär bleibt für viele junge Männer der einzige Berührungspunkt mit Hodenkrebs. An der Genitaluntersuchung bei der Rekrutierung kommt nur vorbei, wer sich weigert.
Dort geistert auch der Name EKG, Eierkontrollgriff, herum. Der falsche Name zeigt: Im Vorfeld wird zwar viel über das Abtasten der Hoden diskutiert, aber wenig Ernstes erzählt. Obwohl immer noch tabuisiert, bleibt den meisten dieser Moment lange in Erinnerung.
Auch für Fabio blieb dies bis zu seiner Diagnose im letzten Herbst der einzige Kontaktpunkt mit der Thematik Hodenkrebs. «Es fing mit einem Ziehen in der Leiste an, der Hoden war verhärtet und da habe ich schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich schon abgetastet, aber ich wusste nicht genau, worauf man achten muss.»
Nach der Rekrutierung tasten sich die wenigsten Männer selbst ab. Frauen hingegen, lernen bei der ersten gynäkologischen Untersuchung ihre Brüste auf Knoten zu untersuchen. Ein Erklärungsansatz für den unterschiedlichen Stellenwert des Abtastens dürften auch die Fallzahlen sein: Während laut Daten der Krebsliga pro Jahr 6500 Frauen an Brustkrebs erkranken, bleibt Hodenkrebs selten: Knapp unter 500 Fälle werden pro Jahr neu diagnostiziert.
Angst vor Krebs ist menschlich, aber es kommt auch oft vor, dass Patienten zum ersten Mal ihre Nebenhoden tasten und dann denken, sie hätten Krebs.
Bei jungen Männern ist Hodenkrebs aber die häufigste Krebsart. «Beim Hodenkrebs nimmt man an, dass der Krebs schon im Hoden ist und bereits nach 20 Jahren wächst, während es bei der Prostata eher 40 oder 50 Jahre sind», sagt Christian Fankhauser, Professor für Urologie und Arzt am Luzerner Kantonsspital.
Die Fälle haben aber über die Jahre zugenommen: Die Schweiz weist zusammen mit anderen europäischen Ländern eine der höchsten Inzidenzen auf. Die Gründe dafür sind allerdings unklar. «Es gibt genetische Faktoren, die Umwelt kann eine Rolle spielen und in der Schweiz werden Fälle im internationalen Vergleich auch besser dokumentiert», so Fankhauser.
Häufig muss der Hoden operativ entfernt werden. Das hat einen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit und deshalb lassen die meisten Betroffenen Spermien einfrieren für einen allfälligen Kinderwunsch.
Die Hodenentfernung war für Fabio aber nicht der schwierigste Teil: «Nach der Operation habe ich gedacht, dass das jetzt einfach verheilen muss. Dann hiess es, ich müsse eine Chemotherapie machen. Ich habe meinen Körper nicht mehr gespürt, war konstant benebelt, bekam Haarausfall, hatte überall Akne und fühlte mich ekelhaft. Mir ging’s richtig mies.»
Noch in den Siebzigerjahren war Hodenkrebs sehr tödlich, bis die Chemotherapie die Behandlung revolutionierte. Heute kann rund 95 Prozent der Patienten geheilt werden, auch solche, die bereits Ableger haben.
Laut Urologe Fankhauser benötigen ungefähr ein Viertel der Patienten eine Chemotherapie. Gerade weil Patienten aber sehr jung seien, verzichte man wenn möglich. «Man weiss, dass junge Leute nach einer Chemotherapie häufiger Herzinfarkte, Hirnschläge und Depressionen haben, ganz viele Nebenwirkungen, die mit jedem Jahr schlimmer werden können.»
«Diese Nebenwirkungen können durch Sport und Bewegung reduziert werden. Spezifisch bei Hodenkrebs kann Bewegung die Gesamtmortalität, also die Gefahr, an Krebs oder Folgeerkrankungen zu sterben, um bis zu 50 Prozent reduzieren», sagt Nora Wieloch, Oberärztin an der Universitätsklinik Balgrist. Angst davor, dass der Krebs zurückkommt, hat Fabio nicht, obwohl die Gefahr real ist. «Ich weiss, wo ich mir dann Hilfe hole.»