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Gewalt via Social Media Kinovandalen auf Tiktok: Von Trend zu sprechen, ist riskant

Randalierende Teenager in Kinosälen erhitzen derzeit die Gemüter von Wetzikon bis Hamburg. Da Videos der Vorfälle auf Tiktok Furore machen, wittern Medien einen neuen Trend. Laut Experten heizen sie ihn genau damit an.

In deutschen und französischen Städten haben randalierende Jugendliche Kinovorführungen des Boxerfilms «Creed 3» zum Abbruch gebracht. Diese Woche waren auch Veranstalter in der Schweiz betroffen. Videos der Störaktionen erzielen auf Tiktok eine hohe Reichweite. Ob das ein neuer negativer Tiktok-Trend wird, hängt laut Experten auch von der Berichterstattung klassischer Medien ab.

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Aus dem Archiv: Wird Tiktok in den USA bald verboten?
aus Echo der Zeit vom 02.03.2023. Bild: Sean Kilpatrick/The Canadian Press
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 10 Sekunden.

«Schlachtfeld Kino», titelt ein Schweizer Onlinemedium und redet von einem «Zerstörungshype». Die Rede ist vornehmlich von einem Kino in Wetzikon, das nach Angaben des Geschäftsführers von einer Schar randalierender Jugendlicher heimgesucht worden ist.

Menschen vor einem Kino in Hamburg und viele uniformierte Polizisten. Im Vordergrund Polizeiwagen.
Legende: Auf Tiktok bekommen Videos der Störaktionen, wie hier in Hamburg, grosse Aufmerksamkeit. Experten halten das aber (noch) für keinen Trend im eigentlichen Sinne. Keystone / Jonas Walzberg

Ein Sündenbock war schnell gefunden. Nicht zuletzt, weil das Phänomen aus Deutschland und Frankreich via der Social-Media-App Tiktok auf die Schweiz übergeschwappt ist.

Wo überall randaliert worden ist

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  • Im Cinemaxx Dammtor in Hamburg wurde eine Vorstellung von «Creed III» abgebrochen, nachdem eine Vielzahl von Personen angefangen hatte, zu randalieren.
  • Tichelpark Cinemas in Kleve, in Nordrhein-Westfalen war nur eines der betroffenen Unternehmen des Bundeslandes.
  • Cinespace in der Waterfront in Bremen: Im Kino kam es zu Verwüstungen und Prügeleien, der Film musste abgebrochen werden.
  • Cinemaxx-Kino in Essen: Während der Vorführung begann eine Gruppe Jugendlicher zu randalieren und sorgte damit für den Abbruch der Veranstaltung. Sogar die Polizei musste ausrücken.
  • Kinos Rex in Uznach: laut Berichten im Medienportal «20 Minuten».
  • Kino Palace Wetzikon: Der Geschäftsführer berichtet von erheblichen Verwüstungen.
  • Gemäss dem Branchenblatt Buzzfeed sind auch einige Kinos in Frankreich betroffen.

Nach einem Vorfall im deutschen Essen mutmasste die Essener Polizei in einem Communiqué, es könne sich um einen sogenannten negativen Tiktok-Trend handeln. Deutsche Medien haben das Thema in den letzten Tagen vielfach so aufgenommen.

Ich bin der Überzeugung, dass es keinen Tiktok-Trend gab.
Autor: Robin Blase TikTok-Experte

In Branchen-Magazine meldeten Kenner jedoch ihre Zweifel an, ob das kollektive Bashing der Video-App nicht voreilig ist. Mehr noch, ob nicht genau die invasive Berichterstattung über einen angeblichen Trend diesen erst aus der Taufe heben könnte.

Für den deutschen Wissenschaftler und Tiktok-Spezialisten Marcus Bösch ist es ebendiese Kombination von vermuteten Zusammenhängen und willfährigen Medien, die zu einer Welle führen könnten.

Marcus Bösch

Marcus Bösch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg

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Marcus Bösch hat in Köln und Cambridge Politikwissenschaften, Mittlere und Neuere Geschichte und Medieninformatik (M.A.) studiert, bei der Deutschen Welle volontiert und ergänzend an der TH Köln einen M.A. in Game Development and Research absolviert. Seit 2020 veröffentlicht er den wöchentlichen Newsletter Understanding TikTok.

«Vor allem die Aussage der Polizei, es handle sich vermutlich um einen Tiktok-Trend, die dann ungeprüft aufgegriffen und verbreitet wurde, hat meines Erachtens erst einen Resonanzraum geschaffen», sagt Bösch zu den Vorkommnissen in Deutschland. Eine Berichterstattung, die Nutzer und Nutzerinnen ermutigt habe, teilzuhaben oder mitmachen zu wollen.

Diese Ansicht vertritt auch der deutsche Tiktok-Experte und Medienspezialist Robin Blase, der Tiktok-Trends kennt und weiss, wie die Plattform funktioniert. «Ich bin der Überzeugung, dass es keinen Tiktok-Trend gab, und durch die Berichterstattung potenziell der eigentliche Trend dieser Aktionen verstärkt wurde», antwortet Blase auf Anfrage.

Robin Blase

Robin Blase

Medienspezialist und Youtuber

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Robin Blase ist Gründer und Head of Social Media der Socialmedia-Agentur «Richtig Cool» in Berlin. Er ist seit 2019 Träger des «Goldene Kamera Digital Awards 2019» und viel zitierter Tiktok-Kenner. (Bild: Johanna Wittig)

Dass es sich bei den jüngsten Verwüstungen um einen Tiktok-Trend handelt, wird von beiden Experten bezweifelt. Dass die Vorkommnisse auf einer Tiktok-Challenge oder einem Trend basieren, dafür würden entscheidende Punkte fehlen, so Blase.

«Die Unruhestifter scheinen sich, soweit ich das bisher überblicken kann, nicht dabei zu filmen», sagt Blase. Und tatsächlich, die Videos, die von den Aktionen bisher viral gegangen sind, scheinen alle von unbeteiligten Nutzern zu stammen – die das Verhalten nicht zelebrieren, sondern verurteilen, da ihnen gerade selbst das Kinoerlebnis ruiniert wurde.

Wie Tiktok-Trends funktionieren

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Tiktok-Profi Robin Blase erklärt: «Auf Tiktok äussern sich Trends meistens durch Tiktok-Features – ein Filter, der von vielen eingesetzt wird. Zuletzt ging zum Beispiel ein Filter namens Bold Glamour viral, weil er einen angeblich perfekt aussehen lässt. Trends sind auch häufig Sounds oder ein Musikstück, dass temporär in zahlreichen Tiktoks auftaucht. Es kann auch ein Tanz oder die Machart eines Tiktoks sein, was sich gerade durch die Plattform zieht.

Der Tiktok-Algorithmus ist gut darin, den Usern dann mehr Tiktoks der gleichen Art anzuzeigen, und so Trends zu beflügeln. Ein Trend kann auch eine Challenge sein – eine Herausforderung, der sich User auf Tiktok unterschiedlich stellen. Manchmal sind solche Challenges auch mit Aufrufen verbunden, diese Challenge selbst zu versuchen.»

Beispiele:

  • Lemon Challenge: Es ging darum, in eine Zitrone zu beissen, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Um das zu kontrollieren, wird dabei ein Filter eingesetzt, der auslöst, wenn man die Mundwinkel verzieht.
  • #GentleMinions Trend: Eine Aktion, bei der im vergangenen Jahr Jugendliche den Film Minions im Anzug besucht haben.
  • #Divisious Lick Hoax: Jugendliche posten Videos, wie sie Dinge in der Schule stehlen. Viele dieser Videos waren aber getrickst und die Gegenstände wurden danach wieder zurückgelegt.

Viele der Videos wurden zudem von Trittbrettfahrenden erst nach den ersten Presseberichten angefertigt und ironisieren die Taten bisweilen, gibt wiederum Tiktok-Experte Bösch zu bedenken.

Ein weiterer Punkt: Es gibt keinen Hashtag, keinen Sound, keinen Filter, keine Challenge – nichts, was typische Tiktok-Mechanismen nutzt. Das spreche nicht für einen Trend, finden sowohl Blase als auch Bösch. Der Rat beider Experten: Medien sollten nicht von einem Trend sprechen, bevor es einer ist.

Echo der Zeit, 02.03.2023, 18:00 Uhr;

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