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Leder – nachhaltiges Nebenprodukt oder untragbare Produktion?
Aus Impact vom 01.02.2023.
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Leder am Körper Kann ich meine Lederjacke noch mit gutem Gewissen tragen?

SRF-Impact-Moderator Livio Carlin hadert mit seinem neusten Kauf: Einer schwarzen Lederjacke. Ist Leder ein altehrwürdiges Naturmaterial oder steckt dahinter viel Mensch- und Tierleid? Ein Erfahrungsbericht.

Schon lange will ich eine schwarze Lederjacke – wie meine Rap-Vorbilder sie tragen. In Paris werde ich fündig und schlage sofort zu, allerdings mit einem schlechten Gewissen. Denn aus Tierliebe ernähre ich mich vegetarisch. Leder tragen, habe ich mir beim Kauf gesagt, ist okay, da das Material ein Abfallprodukt der Fleischindustrie ist. Oder täusche ich mich?

SRF Impact Moderator Livio Carlin in seiner neuen Lederjacke.
Legende: SRF-Impact-Moderator Livio Carlin in seiner neuen Lederjacke. SRF

Dass viele Menschen Schuhe, Gürtel oder Jacken aus Leder tragen und in ihren Autos auf Ledersitzen Platz nehmen, scheint vielen kaum bewusst zu sein, als ich sie auf der Strasse darauf anspreche. Einige wollen sich gleich erklären, deklarieren ihr Lederstück als Fake oder Vintage. Ich bin wohl nicht der Einzige, der bei Leder gemischte Gefühle hat. Dass ein Tier dafür sterben muss, ist klar. Doch wie wird Tierhaut zu Leder?

Leder in der Schweiz

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In der Schweiz existieren nur noch zwei Gerbereien, die Tierhaut zu Leder verarbeiten.

Die meisten Häute werden daher an europäische Gerbereien verkauft. Die Nachverfolgung eines Lederprodukts ist vor allem in der Kleider- und Schuhindustrie sehr schwierig, da die Produktionskette sehr lang ist und viele Länder dabei involviert sind.

Aus Brasilien, China und Indien stammen die meisten Rinderhäute. Das sind auch die drei Länder, welche am meisten Rindsleder gerben.

Das Leder wird vor allem für Kleider und Schuhe, aber auch für Möbel und für die Autoindustrie verwendet.

Im Jahr 2022 hat alleine die Schweiz 36'000 Tonnen Kleider und Schuhe aus Leder sowie unverarbeitetes Leder importiert.

Quellen: Verband Schweizerischer Gerbereien (2022), Centravo (2023), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (2016), Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (2022)

Am nächsten Tag stehe ich vor der Gerberei «Südleder» im deutschen Rehau. Jährlich wird hier eine Million Rinderhäute verarbeitet. Kundschaft aus Automobil- sowie Möbelbranche bestellt hier. Selten wird das Leder noch für Kleider oder Schuhe verwendet. Das kommt meist aus Ländern wie China oder Indien.

Ein beissender Geruch aus rohem Fleisch und Chemikalien kommt mir entgegen. Er erinnert mich an den Schlachthof, den ich einst besucht habe.

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Archiv: Ist Fleischkonsum mit Tierwohl zu vereinbaren?
Aus Unzipped vom 06.09.2021.
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Der Anblick eines Lastwagens mit 25 Tonnen frischer Rinderhaut ist gewöhnungsbedürftig. Blut, Fleischreste, Fell, Tierkot. Attribute, welche mit meiner Lederjacke nicht viel gemeinsam haben.

25 Tonnen Rindsleder aus Deutschland werden hier gerade der Gerberei angeliefert.
Legende: 25 Tonnen Rindsleder aus Deutschland werden hier gerade der Gerberei angeliefert. SRF

Betriebsleiter Stephan Doerr weiss zwar, woher die Tierhäute stammen (das meiste aus Deutschland und der Rest aus anderen europäischen Ländern). Aber: «Auf die Haltung der Tiere haben wir als Gerberei keinen Einfluss.»

Bis die Haut zu Leder wird, durchläuft sie viele Stationen: In grossen, Waschmaschine-ähnlichen Fässern werden die Häute gewaschen und enthaart. Durch viele Hände, Fässer, Trocknungsräume und Maschinen geht das Stück, bis es gegerbt und gefärbt ist.

Kein Tier auf der Welt wird nur wegen des Leders geschlachtet.
Autor: Stephan Doerr Bereichsleiter Gerberei «Südleder»

Insgesamt 400 Chemikalien werden in der Gerberei unter strengen Auflagen verwendet. Trotzdem sei Leder natürlich und nachhaltig, sagt Doerr, aufgrund langer Verwendbarkeit und weil es ein Abfallprodukt sei.

Die Problemliste ist lang

Nach dem Gerbereibesuch bin ich ratlos. Warum hat Leder trotzdem ein Imageproblem? Die Schattenseiten kennt Rebecca Cappelli. Die Tieraktivistin realisierte vergangenes Jahr den Dokumentarfilm «Slay» und besuchte dafür Produktionsstätten, Schlachthöfe und Gerbereien auf der ganzen Welt. Er zeigt eine Lederproduktion, die so gar nicht meinem Bild aus der Gerberei in Deutschland entspricht.

Rebecca Cappelli hatte früher Leder und Pelz in ihrem Kleiderschrank. Heute würde sie diese nie mehr tragen, sagt sie.
Legende: Rebecca Cappelli hatte früher Leder und Pelz in ihrem Kleiderschrank. Heute würde sie diese nie mehr tragen, sagt sie. SRF

«Leder hat enorm schlechte Auswirkungen auf die Umwelt», sagt sie. Der enorme Wasserverbrauch und chemisch intensive Gerbungsprozess sei das eine. Das Problem sei aber auch, dass in Billigproduktionsländern ganz andere Arbeitsbedingungen und Richtlinien zum Schutz für Tier und Umwelt herrschten. «Menschen klagten über verschmutztes Trinkwasser und gesundheitliche Probleme wegen ihrer Arbeit.»

Das meiste Leder entsteht unter miserablen Arbeitsbedingungen und Richtlinien zum Schutz für Tier und Umwelt.
Autor: Rebecca Cappelli Tierschutzaktivistin und Filmemacherin

Anders als Stephan Doerr sieht sie Leder nicht als Abfallprodukt, sondern als bewusste Einnahmequelle: «Damit wird klar gerechnet. Da steckt viel Geld drin», sagt Cappelli.

Alternativen zu tierischem Leder

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Neben dem altbekannten Kunstleder kommen immer mehr weitere Lederalternativen auf den Markt. Zum Beispiel Taschen, Portemonnaies und Gürtel aus Apfel- oder Weinresten aus der Saft resp. Weinproduktion, aus Kaktus- und Ananasfasern, Pilzen oder bakterieller Zellulose.

In vielen dieser Alternativen steckt aber immer noch Kunststoff drin, sind daher schwierig zu recyclen oder halten noch nicht gleich lange wie tierisches Leder.

Vom Bild meiner Lederjacke als einstige Rinderhaut kann ich mich nur schwer lösen. Ausser Vintage landet kein Leder mehr in meinem Kleiderschrank.

«SRF Impact»

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Sie sehen das Logo von SRF Impact.
Legende: SRF

So kompliziert und vielschichtig unsere Welt auch ist, wir wollen sie verstehen. Dafür gehen wir auf die Suche nach Antworten: In Reportagen tauchen wir ein in unsere Schweizer Gesellschaft und nehmen dich mit: Gib dir Deep Talk, Zweifel und Lichtblicke mit unseren Hosts Amila Redzic, Livio Carlin und Michelle Feer.

Alle Folgen «SRF Impact» sind auf Play SRF.

SRF 3, 2.2.2023, 10:45 Uhr

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