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Nepals Kindgöttinnen Aus dem Leben einer Kumari

Sie werden verehrt wie Götterstatuen, sind aber aus Fleisch und Blut: Die Kindgöttinnen in Nepal, sogenannte Kumaris, gelten als Verkörperung einer hinduistischen Göttin.

Wie eine Prinzessin verehrt, ja, auf Händen getragen, in schöne Kleider gehüllt und reich geschmückt: Was für viele Mädchen wie ein Kindheitstraum klingt, ist für Nepals sogenannte Kumaris Realität.

Eine Kumari sitzt auf ihrem Thron, umringt von ihrer Familie.
Legende: Jeden Tag kommen Gläubige und erhoffen sich Segnungen durch das Kind. Reuters/Navesh Chitrakar/Symbolbild

Der Glaube an Gottheiten ist in Nepal so lebendig wie die Kumari selbst: Eine Kumari, zu Deutsch «Jungfrau», gilt als Verkörperung der hinduistischen Göttin Taleju und wird angebetet wie eine Götterstatue. Mit dem Unterschied, dass es sich bei der Kumari um ein Mädchen aus Fleisch und Blut handelt. Das Anbeten der Kumaris ist eine jahrhundertealte Tradition.

Aus dem Leben einer Kumari

Jeden Tag kommen Gläubige zu Besuch und erhoffen sich Glück von der Segnung durch das Kind. So auch bei der 10-jährigen Nihira. Ihr Tag beginnt damit, dass ihre Eltern sie zu ihrem Thron tragen. Das ist wichtig, denn als Kumari dürfen ihre Füsse den Boden ausserhalb des Hauses nicht berühren. Dieser gilt als schmutzig. Nihira hat sich wie alle Kumaris an zahlreiche Regeln zu halten.

Nihira wird aus ihrem Haus getragen.
Legende: Hunde, Menstruationsblut, selbst der Boden unter den Füssen gilt im hinduistischen Glauben als schmutzig und unrein. Keystone/Narendra Shrestha

Sie darf nicht mit Fremden sprechen. Auch nicht mit anderen Kindern draussen spielen oder zur Schule gehen. Aus dem Haus darf Nihira nur bei religiösen Festen. Tränen dürfen keine fliessen, denn das gehöre sich nicht für eine Göttin. Die Eltern haben die Pflicht, all diese strengen, traditionellen Regeln durchzusetzen.

Frauen, die gerade ihre Periode haben oder schwanger sind, dürfen nicht rein.
Vater von Nihira

Diese bestehen nicht nur für die Kumari selbst, sondern auch für ihre Besucher. «Hunde, Gegenstände aus Leder und Frauen, die gerade ihre Periode haben oder schwanger sind, dürfen nicht rein», sagt Nihiras Vater. Kämen sie dennoch rein, würde ein Reinigungsritual durchgeführt.

Nihiras Eltern hatten sie für die Rolle der Kumari vorgeschlagen. Erwählt wurde das Mädchen schliesslich im Alter von fünf Jahren von einer Priesterin.

Göttin nur für kurze Zeit

Kindgöttinnen behalten ihre Rolle bis zur ersten Periode. Dann verlässt die Göttin dem Glauben nach den nunmehr unreinen Körper des Kindes. «Du wirst wie eine Prinzessin behandelt. Aber wenn du keine Göttin mehr bist, wird erwartet, dass du rausgehst. Das normale Leben ist voller Probleme», erzählt Chanira, eine ehemalige Kumari.

Die ehemalige Kumari Chanira im Jahr 2010.
Legende: Bereits 2010 sprach Kumari mit den Medien über den schweren Schritt in ein normales Leben. Inzwischen hat sie erfolgreich studiert. Reuters/Gopal Chitrakar

Chanira erinnert sich, wie ihre Eltern sie an den Händen gehalten und ihr das Laufen beigebracht hätten. «Zuerst hatte ich richtig Angst vor den Strassen.»

Männer haben Angst vor mir.
Autor: Chanira Ehemalige Kumari

Inzwischen habe sie sich an das normale Leben gewöhnt. Einzig das Liebesleben stelle sie vor Herausforderungen. «Männer kommen nicht so richtig auf mich zu, weil sie glauben, dass ich immer noch Überbleibsel der Göttin in mir habe. Sie haben Angst vor mir», erzählt sie weiter.

Nur vage erinnert sich die ehemalige Kumari an das mehrstufige Auswahlverfahren. Ein passendes Mädchen soll ruhig sein und möglichst perfekt aussehen. «Die Frau des Priesters schaut, ob wir Narben oder Muttermale haben oder ob Zähne ausgefallen sind. Das könnte uns disqualifizieren.»

Ob sie wirklich glücklich ist, weiss ich nicht.
Deutscher Tourist

Das Haus zieht auch Touristinnen und Touristen an. Viele reagieren mit Befremden auf die Kindgöttinnen. «Ob sie wirklich glücklich ist, weiss ich nicht», meint ein deutscher Tourist über Nihira.

10v10, 02.06.2023, 21:50 Uhr

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