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Politik auf dem Teller Er schafft mit dem Kochtopf Frieden

Mit Essen Politik machen? David Höner hat es mit «Cuisine sans frontières» probiert und in Krisengebieten Verfeindete an einen Tisch gebracht. Freunde sind sie kaum geworden. Aber viele reden heute miteinander, ohne aufeinander zu schiessen.

In Kenia tauchen in jener Nacht im Jahr 2011 Hunderte von Menschen auf. Über Jahre hatten sie sich bekriegt, hatten sich gegenseitig die Kühe gestohlen, später mit ihren Kalaschnikows ganze Dörfer der anderen ausgelöscht. Nun braten die Stämme der Pokot und Turkana Geissen über dem Feuer und tanzen miteinander.

Vielbeschäftigter Koch

«Ich glaube an das wundersame Wirken des gemeinsamen Essens», sagt der Zürcher David Höner. Mit diesem Glauben hatte er, der gelernte Koch und Journalist, 2005 die gemeinnützige Organisation «Cuisine sans frontières» gegründet. Sie eröffnet dort Küchen und Restaurants, wo alle anderen sie schliessen. Diese sollen Treffpunkte und Ausbildungsstätten sein. Ein Ort, wo Verfeindete noch zusammenkommen können. Und wo das Essen seine versöhnende Wirkung entfalten kann.

Höner ist auf dem Sprung. Er kam kürzlich aus Ecuador, wo er seit 1994 mit seiner Familie lebt. Jetzt arbeitet er am nächsten Projekt, ein Lokal in einem kolumbianischen Slum, das Jugendlichen eine Alternative zu einer Karriere als Drogenkurier bieten soll. Und für die Ex-Kommandanten der Farc-Guerilla soll es ein Anstoss sein, wieder miteinander zu reden. Bereits denkt Höner an ein weiteres Projekt in Kosovo und bald fliegt zurück nach Ecuador. Nun aber schwitzt er unter Zürichs Sonne und erklärt, wie das funktioniert – mit Essen Politik zu machen.

Dazu braucht es kein Rathaus, kein Bundeshaus, nur eine «Beiz».  «Es braucht einen neutralen Boden, wo der Gastgeber einen gewissen Schutz bieten kann», sagt Höner. Und es braucht natürlich Essen – aber nicht irgendeines. Mit einem Hamburger einer Fastfoodkette würden solche Begegnungen nicht funktionieren. Es muss eine Mahlzeit sein, die für beide Parteien steht – ein Ziegeneintopf etwa wie bei den Pokot und Turkana.

Politik auf dem Teller

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Was wir essen, ist auch immer ein Politikum – das Parlament beschäftigt sich immer öfter damit, was bei uns auf den Teller kommt. Deshalb treffen sich diesen Sommer Politikerinnen und Politiker am Kochherd. Zum Auftakt der «Club»-Sommerserie treten die Parteispitzen an zum Kochduell – und David Höner bildet zusammen mit dem Koch und Autor David Geisser die Jury.

Durch den Akt des Teilens, wenn die Entzweiten aus demselben Topf schöpfen, vom selben Tier essen, entsteht fast unbemerkt eine Verbundenheit. Die Mägen füllen sich, die Anspannung schwindet, ein Gespräch kann seinen Anfang nehmen. «Wenn sich daraus eine gemeinsame Gesinnung, ein Übereinkommen ergibt, dann ist das Politik», so Höner.

Bei seinem ersten Projekt in Kolumbien hatte Höner noch Rösti auf die Karte gesetzt. «Ich dachte, das hat jeder gern», sagt er. Die Rösti war aber rasch wieder von der Karte verschwunden. Höner muss selber lachen. Er ist bald 68Jahre alt und strahlt die Gelassenheit von einem aus, der sich nichts mehr beweisen muss.

Wie steht es um die Pokot und Turkana?

Wie man mit Essen Freunde machen kann, hat Höner früh erfahren. Mit 15 war er mit seiner Familie nach Dübendorf gezogen und traf dort auf geschlossene Cliquen. Keine von ihnen zeigte Interesse am Neuen. «Geh in die Pfadi», riet ihm sein Vater. Das tat der Sohn, nur konnte er weder Knoten machen noch Hütten bauen. Aber er konnte ein Gericht kochen: Pouletgeschnetzeltes an Rahmsauce mit Hörnli. Die hungrigen Pfadis konnten nicht genug davon bekommen und als die Bäuche gefüllt waren, waren alle seine Freunde. Höner beschloss: Ich werde Koch.  

Heute weiss er: Es funktioniert, mit Essen Politik zu machen. Wie steht es denn um die Pokot und Turkana? Essen sie noch miteinander? «Sie stehlen sich noch immer gegenseitig die Kühe», sagt David Höner. «Aber sie reden miteinander, ohne aufeinander zu schiessen.»

Club, 11.07.2023, 22:25 Uhr

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