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Probleme im Ausland Flucht ist für ukrainische Roma meistens kein Ausweg

Auch Roma flüchten aus der Ukraine. Schätzungen gehen von etwa 100'000 Geflüchteten aus. Doch auf sie warten viele Herausforderungen im Ausland. Auch Rita und ihre Familie musste diese Erfahrung machen.

Der Hauptbahnhof in Prag hat lange Gänge und geschwungene Fenster. Letztes Jahr hausten dort wochenlang hunderte Kinder mit ihren Müttern. Die Gestrandeten waren alle ukrainische Roma. Prag war nicht der einzige Bahnhof in Tschechien, an dem sie wochenlang lebten, bis Zeltstädte und andere Unterkünfte bereit waren.

Vor einem Jahr flüchtete auch Rita aus dem ukrainischen Uschgorod, wo viele Roma leben. Verwandte hatten geschrieben: «Kommt nach Tschechien, nach Brno, hier hilft man uns.» Rita erzählt nicht von russischen Bomben, denn auf Uschgorod sind keine gefallen. Sie erzählt in Brno von anderen Nöten: «Es war schrecklich bei uns in der Ukraine, es gab nicht einmal Brot.» Ihr 19-jähriger Sohn David ist auf einem Auge blind und konnte deshalb ausreisen.

«Wir haben zu Hause manchmal die heisse Rückseite alter Kühlschränke benutzt, um uns aufzuwärmen», erzählt Rita. Sie putzte Strassen in Uschgorod, für 170 Franken im Monat. Davon lebten sieben Menschen. David hat eine Freundin in der Ukraine, sie ist 16 Jahre alt und schwanger, kann nicht lesen und schreiben – wie viele Roma.

Rita, David, ihre Tochter und Enkel schliefen in Tschechien zuerst im Kloster, dann besorgten ihnen Helferinnen eine Wohnung. Trotzdem ist Rita nie angekommen. Die tschechischen Roma seien nicht nett zur Familie. «Ich habe sogar etwas Angst vor ihnen», sagt sie.

David und Rita
Legende: «Es war schrecklich bei uns in der Ukraine, es gab nicht einmal Brot.» Rita flüchtete mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Tschechien. srf

Der Krieg wütet in Uschgorods Roma-Viertel in der Ukraine, indem er die wenigen Jobs vernichtet, die es gibt. Wer früher den Roma half, hilft jetzt anderen. Roma-Aktivisten gehen davon aus, dass über 100'000 Roma auf der Flucht sind, viele in andere osteuropäische Länder. Sie sagen auch, viele Roma-Flüchtlinge würden als Wirtschaftsflüchtlinge oder Diebe abgestempelt und bekämen nicht ein Quäntchen der Solidarität, die andere ukrainische Geflüchtete erwarte.

Vorurteile erklären nicht alles

So einfach sei es nicht, erklärt Pavel Sitavanc von IQ Roma Servis, einer Hilfsorganisation für Roma in Brno. Rassismus und Vorurteile erklärten nicht alles: «Die amtlichen Stellen in Tschechien haben nicht unterschieden zwischen Roma-Flüchtlingen und anderen Flüchtlingen.» Das Problem sei, dass viele Roma auf der Flucht nicht zurechtkämen.

Viele hätten die nötigen Dokumente nicht und verstünden nicht, dass sie nur als Flüchtlinge anerkannt werden, wenn sie in der staatlichen Unterkunft leben. Oft kämen Roma-Grossfamilien, die unbedingt zusammen wohnen wollten, die sich weigerten, in die Wohnungen zu ziehen, die der tschechische Staat ihnen zuteile. Die dann lieber auf der Strasse lebten und merkten, dass Flucht kein Ausweg sei.

Viele Roma wieder in der Ukraine

In Brno gibt es ausser Rita und ihrer Familie keine Roma-Flüchtlinge mehr. Die meisten sind wieder in der Ukraine. Ukrainische Roma zögen das Elend zu Hause dem Elend woanders vor, sagt der ukrainische Journalist Eugene Savvateev.

Er hat ständig Kontakt mit Roma-Familien in Uschgorod. «Als der grossflächige Krieg anfing, sind die meisten Roma-Familien geflüchtet, jetzt sind die meisten wieder zurück», sagt er.

Der Krieg könnte eine Chance sein, ihre Rolle in der Gesellschaft zu verändern.
Autor: Eugene Savvateev Journalist

Die kriegsversehrte Ukraine könne sie gut gebrauchen. «Sie können bauen, renovieren. Der Krieg könnte eine Chance sein, ihre Rolle in der Gesellschaft zu verändern.» Nach dem Besuch im tschechischen Brno erfahren wir, dass auch Rita und ihre Familie in die Ukraine zurückgekehrt sind.

Rendez-vous, 10.05.2023, 12:30 Uhr

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