Proteste, Boykottaufrufe und eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft: Der Onlinehändler Shein steht in Frankreich unter Beschuss, weil er Sexpuppen verkauft hat, die wie Kinder aussehen. Kritisiert wird unter anderem, dass Menschen mit pädosexueller Neigung solche Produkte erwerben und anschliessend in Versuchung geraten könnten, sich an Kindern zu vergehen. Ob das tatsächlich passieren könnte, sei stark vom Einzelfall abhängig, sagt Monika Egli-Alge. Sie ist Psychologin und arbeitet seit rund 20 Jahren mit Pädophilen.
SRF News: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Bilder von solchen Sexpuppen sehen?
Monika Egli-Alge: Ich glaube, da geht es mir wie den allermeisten. Das irritiert mich, weil diese Puppen so deutlich kindliche Züge haben. Und dennoch ist da etwas Körperliches, um nicht zu sagen etwas Sexuelles dabei. Das irritiert.
Gefährden solche Produkte Kinder, weil eine Hemmschwelle heruntergesetzt wird? Oder beugen sie Straftaten vor, weil sie als Ventil dienen können?
Das ist die Gretchenfrage. Die internationale Forschung hat es bisher unterlassen, eine klare Position einzunehmen. Und zwar genau darum, weil die Frage nicht allgemeingültig, sondern nur sehr individuell beantwortet werden kann. Bei unserer Fachstelle haben wir mit einem Pädophilen gearbeitet, der sich zunächst so eine Puppe anschaffen wollte, sich dann aber dagegen entschieden hat.
Das oberste Ziel ist immer die Selbstkontrolle.
Weshalb?
Im Rahmen der Therapie ist er zum Schluss gekommen, dass es für ihn nicht gut wäre, wenn er seine sexuellen Fantasien mit Minderjährigen ein Stück weiter in die Praxis umsetzt. Er hat sich entschieden, seine Fantasien besser kontrollieren zu wollen und die ganze sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen Körper in der Fantasiewelt zu belassen.
Gibt es überhaupt Fälle, wo solche Kinder-Sexpuppen einen positiven Effekt haben könnten?
Es ist im Grunde ähnlich wie mit Gewalt- oder Aggressionsproblemen. Gibt es eine Ventilfunktion, wenn jemand in einen Boxsack schlägt, vielleicht noch mit dem Konterfei des oder der Betroffenen? Oder schürt das die Aggression? Das ist die grosse Frage. Deshalb versuchen wir, mit jeder Person einzeln zu beurteilen, was die Vorteile und Risiken sein könnten. Das oberste Ziel ist dabei immer, die Selbstkontrolle zu erhöhen, dass keine sexuellen Handlungen mit Kindern umgesetzt werden.
Ob eine Sexpuppe eher ein Ventil ist oder ein Trigger, ist nur schwer erforschbar.
Was könnte für einen Pädophilen ausschlaggebend sein, ob eine solche Puppe ein geeignetes Ventil ist oder ihn zur Tat verleitet?
Da gibt es wirklich nur Hypothesen und keine fundierten Forschungsergebnisse. Ich versuche mal eine Annäherung: Eine Puppe könnte dann als Ventil funktionieren, wenn die Person eine gute Impulskontrolle hat. Nicht nur im sexuellen Bereich, sondern generell. Umgekehrt wäre es schwieriger bei Personen, die sich weniger im Griff haben.
Wie lässt sich diese Frage grundsätzlicher erforschen?
Wissenschaftlich ist das nur schwer untersuchbar. Man kann sich an anderen Themen orientieren, wo diese Ventilfunktion oder Substitution eine bedeutsame Rolle spielt: Kampfsport statt echte Körperverletzung, beispielsweise. Aber das ist nur teilweise vergleichbar. Was wir tun können, ist retrospektiv zurückzuschauen: Wie sind die Personen, die entweder Taten begangen haben oder eben nicht, davor mit ihrer pädosexuellen Neigung umgegangen? Das können wir in praktischen Studien untersuchen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.