Die Biotech-Branche ist auf der Suche nach dem «ewigen Leben». Doch es gibt – nicht zuletzt – ethische Bedenken. Ruth Baumann-Hölzle ist Expertin auf diesem Gebiet.
SRF News: Es gibt immer mehr Forschung zum «ewigen Leben». Steckt dahinter die Angst vor dem Altern?
Ruth Baumann-Hölzle: Das Verlangen von Menschen, über sich hinauszuwachsen und länger zu leben, war in der Kulturentwicklung des Menschen immer schon ein Urbedürfnis. Es kommt darauf an, welche Vorstellungen wir vom «ewigen Leben» haben. Soll das Leben auch qualitativ gut sein oder ist es einfach eine Anhäufung von Quantität, also von Lebensjahren?
Was ist die ethische Sicht auf diese Entwicklungen?
Allgemein lässt sich das nicht beantworten. Die Ethik schaut aus der Vogelperspektive auf die verschiedenen Vorstellungen des Altwerdens. Je nach Moralvorstellung und Lebensentwurf eines Menschen hat sie eine unterschiedliche Vorstellung über das Altwerden und Jungbleiben. Dabei stellen sich auch Gerechtigkeitsfragen. Aus der Forschung weiss man, dass, wer besser gebildet und sozial höher gestellt ist, durchschnittlich länger und gesünder lebt. Auch global gesehen zeigen sich diesbezüglich grosse Unterschiede.
Es gibt mittlerweile einige Möglichkeiten, den Alterungsprozess auszubremsen, zum Beispiel durch Schönheitsoperationen. Was machen solche Eingriffe mit uns?
Wie jede Operation ist ein solcher Eingriff eine Körperverletzung und mit medizinischen Risiken verbunden. Wir müssen uns fragen, wie angemessen solche Schönheitsoperationen sind. Bei diesem Thema hängt viel davon ab, was wir als «normal» und «schön» bezeichnen. Doch was ist Sinn und Ziel einer Schönheitsoperation? Und erreicht man dieses Ziel damit tatsächlich? Dieser Diskurs findet eigentlich immer aus der Perspektive des Individuums statt. Doch solche Entscheidungen werden stark durch das soziale Umfeld geprägt. Viele Menschen entscheiden sich zu einer Schönheitsoperation, weil sie einem Menschenbild entsprechen wollen, das sie von den sozialen Medien oder aus der Werbung kennen.
Dabei muss sich auch die moderne Medizin fragen, was ihre Ziele und Zwecke sind. Geht sie in Richtung des sogenannten «Enhancements», also der Selbstoptimierung, oder will sie die Lebensqualität fördernd unterstützen? Sollen die sowieso schon knappen medizinischen Ressourcen wirklich für Selbstoptimierungen zur Verfügung stehen?
Welche Rolle spielt das Alter in Zukunft noch, wenn man den Menschen nicht mehr ansehen kann, wie alt sie sind?
Schlussendlich kommt es viel mehr auf andere Faktoren an, zum Beispiel wie beziehungsfähig wir sind. Bei der Frage, was ein gutes Leben ausmacht, spielt das Aussehen eines Menschen sicher eine Rolle, aber sie ist nicht zentral. Die Beziehungsfähigkeit der Menschen ist entscheidender. Vor allem aber stellen sich mit der grossen Zunahme von alten Menschen Fragen bezüglich des Umgangs mit Gesundheit und Krankheit. Mit dem fortgeschrittenen Alterungsprozess einher, gehen Fragilität und neurodegenerative Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer und Parkinson.
Ein gesunder Lebensstil und die moderne Medizin werden Krankheitsentwicklungen verhindern, verlangsamen oder gar heilen können. Gleichwohl braucht es einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft: Statt die Illusion ewigen Lebens und ewiger Schönheit zu pflegen, müssen wir uns diesen existentiellen Herausforderungen vor allem der Hochaltrigkeit stellen. Die Gesellschaft muss kompetent werden im Umgang mit Demenzkranken in der Anfangsphase. Ganz allgemein braucht es ausreichend Betreuungs- und Pflegeressourcen für einen menschlichen Umgang für die Lebensphase zunehmender Abhängigkeit im Alter.
Das Gespräch führte Jakob Hediger.