Ob straffere Lider oder faltenfreie Stirn: Eingriffe wie Botox und Lidstraffungen gehören weltweit zu den beliebtesten Schönheitsbehandlungen. 2024 wurden über 35 Millionen Eingriffe registriert – rund 40 Prozent mehr als noch vor wenigen Jahren. Auch in der Schweiz wächst die Nachfrage spürbar.
Eliane Sturzenegger hat sich nach drei Schwangerschaften die Brüste operieren lassen. «Ich weiss, ich bin Mutter – aber ich will auch Frau sein», sagt sie. Der Eingriff habe ihr Selbstwertgefühl gestärkt. Auch Unternehmerin und Influencerin Sara Leutenegger spricht offen über ihre Brust-OP mit 20 – ausgelöst durch Hänseleien in der Jugend: «Ich wollte einfach normal aussehen.»
Die Kundschaft für Schönheitseingriffe wird weltweit immer jünger. Psychologin Simone Munsch beobachtet in ihrer Klinik zunehmend Patientinnen mit tief verankerten Selbstzweifeln. «Viele glauben, sie entscheiden selbst – doch oft sind es unbewusste Unsicherheiten. Das ist das Gefährliche.» Plastische Chirurgin Colette Camenisch sieht in ihrer Sprechstunde immer häufiger sogenannte Körperdysmorphien: eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Sie operiere nur Menschen, die das Risiko realistisch einschätzen. Gleichzeitig räumt sie ein, dass sie auch vom Boom profitiere.
Wie stark beeinflussen uns Social Media?
Soziale Medien machen Schönheitsideale allgegenwärtig und greifbarer denn je. «Früher verglich man sich mit Models, heute mit Gleichaltrigen auf Instagram», sagt Leutenegger. Body-Positivity-Aktivistin Morena Diaz erinnert: «Wir sind mit Barbies und Disney-Prinzessinnen aufgewachsen – das prägt.»
Besonders kritisch wird es, wenn Jugendliche sich an gefilterten Bildern orientieren. «Dann wird das Ideal Teil des eigenen Erlebens», warnt Munsch. Das verändert das Selbstbild, oft schon früh: In manchen Ländern werden bereits Teenager mit Baby-Botox oder Preventive Fillers behandelt – ein Trend, der auch Europa erreicht.
Philosoph Yves Bossart fordert mehr Selbstbeobachtung: «Tut mir das gut, wenn ich das sehe?» Leutenegger ergänzt: «Unsere Eltern konnten uns den Umgang mit Social Media nicht beibringen. Diese Welt gab es damals noch nicht.»
Ist Schönheit zur Pflicht geworden?
«Den Wunsch, schön zu sein, gab es schon immer», sagt Munsch. Schönheit sei evolutionär nachvollziehbar – oft verbunden mit Gesundheit und Erfolg. Doch heute sei der Druck anders: «Was sich verändert hat, ist die Frequenz und Intensität, mit der wir ihm ausgesetzt sind.»
Bossart verweist auf kulturelle Faktoren: Der Körper sei zum Projekt geworden und zum Rückzugsort in einer unsicheren Welt. «Wir kreisen um ihn, weil wir ihn kontrollieren können – im Gegensatz zur Welt draussen.» Schönheitsnormen würden zudem wieder enger, besonders im Hinblick auf Männlichkeit und Weiblichkeit. Und: «Dass wir unseren Körper nicht mögen, ist die Geschäftsgrundlage eines Milliardenmarkts.»
Studien zeigen: Attraktive Menschen verdienen mehr, gelten als kompetenter, haben oft bessere Chancen im Beruf. Bossart spricht vom «Halo-Effekt»: Schönes wird mit Positivem verbunden – automatisch. «Lookism – also die Diskriminierung aufgrund des Aussehens – betrifft besonders mehrgewichtige, behinderte oder Schwarze Menschen», sagt Diaz. Schönheit sei längst nicht nur ein Ideal – sie entscheide mit darüber, wer dazugehört. Oder eben nicht.