Mehr Lärm ums stille Örtchen, dafür plädiert Proktologe und Darmchirurg Daniel Dindo. Ein Aufräumen mit Mythen rund um den Darm.
SRF Impact: Daniel Dindo, was ist eigentlich der Plural von Anus?
Daniel Dindo: Da werden jetzt wohl einige Gymnasiastinnen und Gymnasiasten laut lachen. Ich weiss es gar nicht. Ich denke, es wird wohl «Ani» sein.
Wie viele «Ani» sehen Sie denn pro Jahr?
Ungefähr 4000. So viele Patientinnen und Patienten sind es jedenfalls pro Jahr.
Bin ich die erste Person, die Ihre Praxis ohne Angst und Schamgefühle betritt?
Es ist schon so, dass viele mit gewissen Ängsten kommen, da sie nicht wissen, was sie erwartet. Zudem müssen sie mir dann Dinge erzählen, von denen sie gedacht haben, dass sie sie nie jemandem erzählen müssten.
Ab wann wird diese Scham gefährlich?
Kürzlich kam ein Patient zu mir, der seit Jahren Beschwerden hatte. Und obwohl sein Problem sich stetig vergrösserte, kam er aus Scham nicht früher zu mir. Schliesslich war es ein ausgedehnter Analkrebs. Solche Fälle gibt es immer wieder. Viele Personen behandeln sich auch über lange Zeit einfach mit Hämorrhoidencremes selbst, da die meisten bei Problemen rund um die Analregion immer davon ausgehen, dass es sich um symptomatische Hämorrhoiden handelt.
Der Darm hat zu Unrecht ein etwas schlechtes Image. Was ist das Tollste an unserem Darm?
Er ist hochkomplex gesteuert. Der Kot fällt ja nicht einfach der Schwerkraft entlang. Unser Enddarm hat eine hohe Sensibilität. Viele Nerven kommen da zusammen. Dieses Organ macht uns dicht. Trotzdem kommt jederzeit etwas raus, wenn wir das wollen. Es gibt viele Aspekte des Darms, die faszinierend sind.
Nach der Gartenarbeit käme auch niemand auf die Idee, die dreckigen Hände mit trockenem Papier zu reinigen.
Es scheint sehr viel Unwissen vorhanden zu sein, wenn es um unseren Darm, unsere Analregion und unseren Stuhlgang geht. Darum möchte ich Sie mit ein paar Stuhlgang-Mythen konfrontieren, um ein wenig damit aufzuräumen. Darf ich?
Schiessen Sie los.
Zu lange auf der Toilette zu sitzen, ist ungesund.
Das stimmt. Es ist eine Belastung für den Beckenboden und eine abnormale Körperposition, welche über längere Zeit zu Problemen führen kann. Am besten ohne Handy auf die Toilette gehen und den Stuhlgang schnell hinter sich bringen. Wenn nichts kommt, abbrechen, statt pressen.
Hämorrhoiden sind ein Wunder der Natur.
Wir sitzen falsch auf der Toilette.
Die beste Position wäre in der Hocke, da der Beckenboden entlastet wird und der Winkel des Darms gerader wäre. Die Sitz-Toilette, wie wir sie kennen, müsste durch einen Schemel ergänzt werden, welche unsere Beine hochlagert.
WC-Papier ist schlecht für unseren Anus.
WC-Papier ist nicht optimal, da es bei manchen Menschen zu Hautproblemen führen kann. Beispiel: Nach der Gartenarbeit käme niemand auf die Idee, die dreckigen Hände mit trockenem Papier zu reinigen. Feuchttücher enthalten allerdings Konservierungsstoffe und Duftstoffe, welche die Haut ebenfalls schädigen können. Die optimale Reinigung wäre reines Wasser.
Hämorrhoiden sind schlecht.
Hämorrhoiden sind ein Wunder der Natur, ein Mechanismus, welcher Luft und Flüssigkeit zurückhalten kann. Wenn man allerdings Symptome hat wie Juckreiz, Blut oder Flüssigkeitsabsonderung, kann man diese behandeln.
Analverkehr lässt unseren Schliessmuskel erschlaffen.
Merkwürdigerweise gibt es zu dieser Frage fast keine Daten in der Literatur. Eine neuere Studie über Frauen sagt, dass Analverkehr zu mehr Kontinenzproblemen führt. Eine noch neuere Studie über Männer sagt das Gleiche. Eine wissenschaftliche Evidenz gibt es allerdings nicht, da es sich um Einzelstudien handelt.
Das Gespräch führte Livio Carlin.