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«Twisted Tale of Amanda Knox» Welchen Einfluss haben True-Crime-Serien?

Ob «Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez» oder die eben gestartete Serie «The Twisted Tale of Amanda Knox»: True-Crime-Serien prägen nicht nur die öffentliche Wahrnehmung, sondern können auch reale Gerichtsprozesse beeinflussen. Das wirft medienethische Fragen auf.

Zwei gutaussehende junge Männer, muskulös, reich – aber unterdrückt und misshandelt von ihren Eltern: So inszeniert die Netflix-Serie «Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez» das Brüderpaar, das 1989 in Los Angeles seine Eltern brutal erschoss.

Serie mit Star-Aufgebot

Die Serie ist kein dokumentarisches Format, sondern nutzt alle Stilmittel eines fiktionalen Thrillers. In den Hauptrollen sind die Schauspieler Cooper Koch (Erik) und Nicholas Alexander Chavez (Lyle) zu sehen, die lieblosen Eltern werden von den Hollywood-Stars Javier Bardem und Chloë Sevigny verkörpert.

Vier Schauspiel-Stars posieren an einer Premiere vor dem Filmplakat.
Legende: Javier Bardem, Cooper Koch, Nicholas Alexander Chavez und Chloë Sevigny bei der Premiere von «Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez» im September 2024 in New York. Getty Images / Roy Rochlin

Kurz nach Veröffentlichung der Serie forderten zahlreiche Fans sowie ein Staatsanwalt die Überprüfung des Strafmasses der Menendez-Brüder, die zum Zeitpunkt des Prozesses jünger als 26 Jahre waren. Zufall? Oder können True Crime-Serien reale Gerichtsverfahren dermassen beeinflussen?

Studie zum Einfluss von Medienberichten

Undenkbar ist das nicht, sagt Medienethikerin Marlis Prinzing und verweist auf Untersuchungen in Deutschland: «In einer Studie wurden Richterinnen und Richter anonym befragt, ob Medienberichte ihre Urteile beeinflussen. Sie sagten: ‹Im Kern nicht.› Aber sie räumten ein, dass sie sich beim Strafmass nicht sicher seien, ob es sich nicht doch verändere, je nachdem, wie ein Fall öffentlich diskutiert werde.»

Amanda Knox will ihren Ruf wiederherstellen

Keine Strafminderung, sondern die endgültige Wiederherstellung ihres Rufs erhofft sich hingegen Amanda Knox. Sie hat die neue Serie «The Twisted Tale of Amanda Knox» mitproduziert.

«Engel mit Eisaugen» nannte die internationale Presse Amanda Knox – und prägte damit das Bild einer gefühlskalten Mörderin. 2007 wurde die damals 20-jährige US-Amerikanerin im italienischen Perugia festgenommen und beschuldigt, ihre Mitbewohnerin Meredith Kercher umgebracht zu haben. Ein italienisches Gericht verurteilte Knox 2009 zu 26 Jahren Haft. Nach mehreren Berufungsverfahren wurde Knox 2015 freigesprochen.

Der Mordfall Meredith Kercher

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Am 1. November 2007 wurde die 21-jährige britische Austauschstudentin Meredith Kercher in ihrer WG in Perugia, Italien, beraubt und ermordet. Der Ivorer Rudy Hermann Guede wurde als Täter ermittelt und 2008 rechtskräftig verurteilt.

Kerchers Mitbewohnerin Amanda Knox und ihr damaliger Freund Raffaele Sollecito wurden ebenfalls des Mordes angeklagt. 2009 verurteilte ein Gericht beide zu langen Haftstrafen. Das Berufungsgericht in Perugia hob das Urteil 2011 auf. Nach weiteren Revisionen wurden die Freisprüche 2013 vom Kassationsgericht annulliert – 2014 folgte eine erneute Verurteilung. Erst 2015 sprach das oberste Gericht Italiens Knox und Sollecito endgültig vom Mordvorwurf frei.

Parallel lief eine Verleumdungsklage gegen Knox, weil sie eine andere Person fälschlich beschuldigt hatte.

Das Interesse vor allem der italienischen, britischen, US-amerikanischen und deutschsprachigen Boulevardmedien an dem Fall war unter anderem dadurch geweckt worden, dass der Hauptankläger, Staatsanwalt Giuliano Mignini, in der Anklage von einem «satanischen Ritus» und «dämonischen Motiven» gesprochen hatte. Dies war vom Gericht jedoch schon im ersten Schuldspruch verworfen worden. Das andauernde intensive Interesse der Medien an den zwischenzeitlich wieder aufgenommenen Ermittlungen der italienischen Staatsanwaltschaft und den diversen Gerichtsverfahren sorgte aber dafür, dass der Fall auch danach noch über mehrere Jahre in der Öffentlichkeit präsent blieb.

Aus diesem Stoff hat der Streamingdienst Disney+ die True-Crime-Miniserie «The Twisted Tale of Amanda Knox» entwickelt. Denn Amanda Knox kämpft – auch mit 38 Jahren – noch immer gegen das Bild der kaltblütigen Femme fatale, deren angebliches Sex-Ritual im Tod ihrer Mitbewohnerin geendet haben soll. Für sie ist die Serie ein Versuch, ihre Reputation wiederherzustellen.

Zwei Frauen mit braunen Haaren posieren an einer Filmpremiere.
Legende: Die Co-Produzentinnen Monica Lewinsky und Amanda Knox bei der Premiere ihrer Serie: «The Twisted Tale Of Amanda Knox» in New York. Getty Images/Santiago Felipe

«Das kann gelingen, wenn deutlich wird, dass es an professioneller Berichterstattung gemangelt hat», sagt Medienethikerin Marlis Prinzing. «Wenn klar wird, dass Fehler gemacht und viele Lücken nicht geschlossen wurden – und das Publikum zur Überzeugung gelangt: ‹Hätten wir das damals gewusst, wären wir zu einer anderen Einschätzung gekommen.›»

Gleichzeitig mahnt Prinzing: «Wir müssen uns bewusst sein: True Crime ist keine reine Unterhaltung. Es geht um reale Verbrechen, um echte Opfer, um Menschen, die grosses Leid erfahren haben.»

Zwei junge Männer sitzen vor Gericht mit einer blonden Anwältin.
Legende: Erik Menendez mit seiner Anwältin Leslie Abramson und seinem Bruder Lyle Menendez 1994 in Los Angeles vor Gericht. Getty Images/Ted Soqui

Die Menendez-Brüder jedenfalls haben durch die Netflix-Serie eine wachsende Fangemeinde in den sozialen Medien gewonnen – viele hofften auf die Freilassung nach über 35 Jahren Haft. Doch für die Brüder bleibt dieser Wunsch vorerst unerfüllt: Ihre Anträge auf vorzeitige Freilassung wurden letzte Woche abgelehnt.

SRF 1, 10vor10, 22.08.2025, 21:50 Uhr. ; 

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