«Ich bin noch der letzte Dinosaurier», sagt Roland Noirjean. Seit 25 Jahren steht er während der Adventszeit in der Manege des Zürcher Weihnachtszirkus Conelli. Abend für Abend zeigt er eine Kunst, für die heute kaum mehr Zeit übrig bleibt.
Früher konnte eine Clownnummer locker 20 Minuten dauern. Heute, sagt Roli, wie ihn alle nennen, habe man die Aufmerksamkeit des Publikums vielleicht noch sieben oder acht Minuten, «und dann muss bereits etwas Neues kommen». Lange Spannungsbögen, langsame Pointen, subtiler Slapstick: All das werde zunehmend verdrängt durch rasch wechselnde, visuell dominante Acts.
Er lebt seinen Kindheitstraum
Roli wollte schon von Kindesbeinen an Clown werden. Als Sohn eines Wirtepaars verbrachte er viel Zeit im Gasthaus seiner Eltern und liebte es, die Gäste am Stammtisch mit seinen Spässen zu unterhalten. Er wollte jedes Instrument spielen lernen, studierte die grossen Clowns seiner Kindheit – und traf später tatsächlich eines seiner Idole: Gaston.
Der legendäre Zirkusclown nahm den jungen Mann unter seine Fittiche und brachte ihm das Clownshandwerk von Grund auf bei. «Du darfst den Clown nicht spielen», habe Gaston ihm immer wieder gesagt. «Du musst der Clown sein.» Eine Lektion, die Roli bis heute begleitet.
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Bild 1 von 3. «Wir waren eingespielt wie ein altes Ehepaar. Alles, was ich heute kann, hat Gaston mir beigebracht», erinnert sich Clown Roli an seinen langjährigen Bühnenpartner. Bildquelle: ZVG.
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Bild 2 von 3. Gastons wichtigste Lektion: «Du darfst den Clown nicht spielen, du musst der Clown sein!». Bildquelle: ZVG.
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Bild 3 von 3. Am 20. Dezember 2023 starb Gaston Häni im Alter von 72 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Bildquelle: ZVG.
Mehr als 20 Jahre standen Gaston und Roli gemeinsam in der Manege. Bis Gaston vor zwei Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung starb.
Seitdem schminkt sich Roli kaum noch. Er musste sich neu erfinden, nicht nur aus persönlicher Trauer, sondern auch, weil die Zirkuswelt sich verändert. Der klassische Clown, der im Disput mit seinem Partner pointenreich durch die Manege stolpert, findet in vielen Programmen kaum noch Platz.
Der letzte seiner Art
«Es gibt nicht gross Nachwuchs bei den klassischen Clowns», sagt Roli. «Und dann ist auch die Frage: Welcher Zirkus leistet sich heute noch einen oder zwei Clowns? Das ist ein Kostenfaktor.»
Dabei legte der Zirkusclown einst eine glanzvolle Karriere hin: Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte er sich vom einfachen Pausenfüller zum eigenständigen Artisten. In den 1920er-Jahren liess sich Charlie Chaplin von der Clownfigur inspirieren und machte sie durch seine Filme weltweit populär.
Kurz darauf prägten Laurel und Hardy (Dick und Doof) das komische Zusammenspiel von Autorität und Tollpatschigkeit. Diese Dynamik war dem Zirkusclown bereits in Form des besserwisserischen Weissclowns und dummen Augusts vertraut. Film und Fernsehen verliehen diesen Typen aber einen regelrechten Popularitätsschub, der bis in die 1980er-Jahre anhielt.
Zirkus in der Zwickmühle
Inzwischen ist die rote Nase ist fast gänzlich verschwunden und auch die viel zu grossen Schuhe watscheln nur noch selten durchs Sägemehl der Zirkusmanege. Laut dem Schweizer Berufsverband der Zirkusschaffenden zieht es junge Clowns tendenziell eher Richtung Theater oder ins Spital. Auch der Nationalzirkus Knie und der Circus Monti bestätigen: Der klassische Schweizer Zirkusclown ist selten geworden.
Und so steht Roli Noirjean heute da – einer der letzten seiner Art. Ein Künstler, der an einer Tradition festhält, die langsam zu verschwinden droht. Der «letzte Dinosaurier», wie er selbst sagt. Aber einer, der Abend für Abend beweist, dass der Zirkusclown die Menschen noch immer berühren kann. Auch nach 25 Jahren im Zirkus Conelli sagt er: «Solange das Publikum mich sehen will, mache ich weiter.»