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Initialzündung aus Lausanne? Grüner Wasserstoff: ETH-Forschungsteam schafft einen Durchbruch

Ein Prototyp gewinnt Wasser über die Luft und stellt klimaneutral Wasserstoff her: Die Ergebnisse haben Potenzial.

Was hat man herausgefunden? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETHL) haben einen Weg erforscht, wie Wasser über die Luft gewonnen werden kann, um es anschliessend in Wasserstoff umzuwandeln. Der Vorgang ist inspiriert von der Fotosynthese, bei welcher Pflanzen aus dem Boden Wasser aufnehmen, um ihr eigenes Wachstum zu ermöglichen. Während die Pflanzen dank der Sonneneinstrahlungen aber Zucker und Sauerstoff produzieren, ist das Resultat des erforschten Vorgangs der ETHL grüner, also klimaneutraler, Wasserstoff.

Drei Elektroden sind zu sehen.
Legende: Die Elektroden sind einerseits porös, um den Kontakt mit dem Wasser in der Luft zu maximieren. Andererseits sind sie leicht durchsichtig, um die Wirkung des Sonnenlichts möglichst gut auszunutzen. ETH Lausanne

Was ist neu an den Erkenntnissen? Die Elektroden, welche durch ihre poröse, transparente und leitfähige Beschaffenheit Wasser in seinem gasförmigen Zustand in der Luft einfangen und Wasserstoff produzieren können, gibt es in dieser Art noch nicht. «Dieser Ansatz ist praktischer als die bisher erforschten Technologien», erklärt Kevin Sivula, Hauptverantwortlicher des Forschungsprojekts.

Dass die Energie für diesen Vorgang direkt von der Sonne kommt, ist ein weiterer interessanter Aspekt. Somit kann der gewonnene Wasserstoff nämlich als grün bezeichnet werden; er ist also vollständig klimaneutral.

Grün, blau, türkis, grau: Wasserstoff nicht gleich Wasserstoff

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Wasserstoff wird grundsätzlich in vier verschiedene Kategorien eingeteilt: grün, türkis, blau und grau. Grüner Wasserstoff ist zentral für das Erreichen der Pariser Klimaziele. Er ermöglicht vor allem, grosse Treibhausgas-Verursacher klimafreundlich umzugestalten. Der Rohstoff ist vollständig klimaneutral und wird gewonnen aus der Elektrolyse von Wasser mit dem Beiprodukt Sauerstoff unter Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen.

Türkiser Wasserstoff ist das Produkt der sogenannten Methanpyrolyse. Dabei wird Erdgas oder Biomethan direkt in seine Bestandteile Wasserstoff und Kohlenstoff gespalten. Weil je nach Förderung des Erdgases und Weiterverarbeitung des festen Kohlenstoffs Emissionen entstehen können, ist er nicht vollständig klimaneutral.

Ähnliches gilt für den blauen Wasserstoff. Dieser entsteht durch eine Dampfreformierung. Dadurch entsteht CO₂, welches unterirdisch gelagert wird. Grundsätzlich ist blauer Wasserstoff klimaneutral, aber die Langzeitwirkung der CO₂-Speicherung ist ungewiss. Zudem kann durch undichte Stellen Kohlendixiod entweichen, was schliesslich zu Umweltschäden führen kann.

Grauer Wasserstoff entsteht wie blauer Wasserstoff durch Dampfreformierung, wobei ebenfalls CO₂ entsteht. Weil dieses schliesslich in die Erdatmosphäre gelingt, ist grauer Wasserstoff nicht klimaneutral.

Weshalb sind die Erkenntnisse wichtig? Man ist einer Vision einen Schritt näher gekommen; nämlich eine Methode zu entwickeln, welche in der beschriebenen Form Wasserstoff in grosser Menge herstellen kann. Dies ist für die Wissenschaft seit Jahrzehnten ein Traum. Grüner Wasserstoff ist nämlich elementar, um die Welt umweltfreundlicher zu machen. «In einer Zukunft, in welcher die Wirtschaft nicht auf fossilen Brennstoffen basiert, werden wir kostengünstige Möglichkeiten brauchen, um grünen Wasserstoff zu erzeugen», sagt Kevin Sivula.

In Zukunft werden wir kostengünstige Möglichkeiten brauchen, um grünen Wasserstoff zu erzeugen.
Autor: Kevin Sivula Leiter Forschungsteam

Tatsächlich bergen die Forschungsergebnisse ein grosses Potenzial. Grüner Wasserstoff dürfte etwa in der Industrie, dem Verkehr oder dem Strom- und Wärmebereich eine enorm tragende Rolle spielen. Zudem kann man Wasserstoff gut lagern und er lässt sich transportieren, was mit Strom nicht ohne weiteres möglich ist. Letztlich kann man Wasserstoff nicht abbauen; man muss ihn herstellen. Und genau hier setzt das Forschungsteam von Kevin Sivula an.

Bund will auf grünen Wasserstoff setzen

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Viele Länder haben den grünen Wasserstoff in ihre Energiestrategien integriert. Deutschland beispielsweise will stark in den Rohstoff investieren. Auch in der Europäischen Union gibt es Initiativen, die den grünen Wasserstoff fördern wollen.

Die Schweiz hat das Potenzial des klimaneutralen Rohstoffes ebenfalls erkannt. So hat der Nationalrat im vergangenen Dezember eine entsprechende Motion der Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter verabschiedet, der Ständerat hatte den Vorstoss bereits im Mai mit einer Änderung angenommen.

Der Bundesrat wurde damit beauftragt, eine nationale Strategie für Wasserstoff aus CO₂-neutralem Produktionsverfahren auszuarbeiten. Die Strategie soll aufzeigen, wie der Einsatz von CO₂-neutralem Wasserstoff zur Klimaneutralität der Schweiz beitragen kann und wie er sich bis in die Jahre 2035, 2050 und danach entwickeln könnte. Ein Schwerpunkt soll dabei auf der Importstrategie für Wasserstoff aus CO₂-neutralem Produktionsverfahren liegen.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Energiewende? Zunächst noch nicht viel, räumt Sivula ein. Man habe lediglich den Beweis erbracht, dass der Vorgang mit den speziellen Elektroden funktioniere. Wegen der skalierbaren und kostengünstigen Prozesstechniken hoffe man allerdings darauf, dass die Erkenntnisse die Initialzündung für eine «komplett grüne Gesellschaft» geben können. Auch Marina Caretti, verantwortliche Autorin der Forschung, sagt: «Ich denke, dass unser Ansatz für die solarbetriebene Wasserstofferzeugung neue Horizonte eröffnen wird.»

Was könnte weiter erforscht werden? Die Resultate legen ein grosses Feld an neuen Möglichkeiten offen. Dessen ist sich auch das Forschungsteam um Kevin Sivula bewusst, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Ertrag des Prototyps noch bescheiden ist.

Kevin Sivula hält den Prototyp in den Händen.
Legende: Kevin Sivula hält den Prototyp in den Händen. ETH Lausanne

Nun geht es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darum, weiterzuforschen und das Gerät zu optimieren. Viel mehr Arbeit müsse unter anderem in den Vorgang gesteckt werden, wie die Sonneneinstrahlung effizient in chemische Energie umgewandelt werden könne, führt Sivula aus.

Tagesschau, 05.01.2023, 19:30 Uhr ; 

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