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Stromabschaltungen in der Schweiz nur im Notfall
Aus 10 vor 10 vom 24.11.2022.
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Szenario Stromabschaltungen «Alles wäre betroffen, denn praktisch alles braucht Strom»

Noch ist die Strommangellage nur ein Szenario. Doch Vorsicht ist besser als Nachsicht, sagt bekanntlich das Sprichwort. Der Bundesrat hat am Mittwoch einen detaillierten Eskalationsplan für den Fall eines akuten Strommangels entworfen. Das oberste Ziel: einen Blackout zu verhindern. Noch vor einem Netzzusammenbruch sind gebietsweise vierstündige Stromabschaltungen vorgesehen. Was das bedeuten könnte, erklärt ETH-Experte Christian Schaffner.

Christian Schaffner

Christian Schaffner

Direktor des Energy Science Center (ETH)

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Seit September 2013 ist Christian Schaffner Direktor des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich in der Schweiz. Das ESC ist ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum zur Förderung der Energieforschung und -lehre an der ETH. Zuvor war Christian Schaffner beim Bundesamt für Energie (BFE) als Leiter der Sektion Netze für die Entwicklung einer Netzausbaustrategie und einer Smart Grid Roadmap verantwortlich.

SRF News: Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario von partiellen Netzabschaltungen?

Christian Schaffner: Man kann im Moment sagen, dass die Lage nicht mehr ganz so eng ist wie auch schon. Das hängt damit zusammen, dass europaweit die Gasspeicher tatsächlich sehr gut gefüllt sind. Das gilt auch für die Wasserspeicher in der Schweiz.

Wir waren noch nie so nahe an einer kritischen Lage wie heute
Autor: Christian Schaffner

Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass wir noch nie so nahe an einer kritischen Lage waren wie heute. Auf der einen Seite haben wir die Kernkraft in Frankreich, die europaweit eine zentrale Rolle spielt. Falls diese Kernkraftwerke wie geplant in den nächsten Wochen wieder ans Netz gehen, dann sieht es nicht so schlecht aus. Wenn es dort aber Verzögerungen gibt oder zusätzliche Gaspipelines unterbrochen werden, dann kann es schneller wieder problematisch werden.

Der Bundesrat spricht von einzelnen Gebieten, die abwechselnd für vier Stunden abgeschaltet werden sollen. Wie muss man sich das vorstellen?

Es gibt aktuell konkrete Beispiele. In Südafrika etwa ist im Moment zu wenig Energie im System, unter anderem, weil die Ölpreise so hoch sind. In gewissen Quartieren wird dort für vier oder mehr Stunden abgeschaltet. Die Bevölkerung weiss jeweils im Voraus, dass am nächsten Tag während einer gewissen Zeitspanne der Strom ausfällt. Ein weiteres reales und tragisches Beispiel ist derzeit Kiew, wo Netzabschaltungen an der Tagesordnung sind.

Wer entscheidet über Netzabschaltungen?

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Die Abschaltungen basieren auf einer Verordnung, die noch nicht in Kraft ist. Im Moment kann noch niemand einfach das Stromnetz abschalten. Die Verordnung müsste erst vom Bundesrat in Kraft gesetzt werden. Das macht der Bundesrat aufgrund eines Antrags des Delegierten für wirtschaftliche Landesversorgung. Dieser schlägt dem Bundesrat vor, die Verordnung in Kraft zu setzen, und zwar nicht in Eigenregie, sondern gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Versorgungssicherheit.

In dieser Arbeitsgruppe sitzen Vertreter der Elcom, von Swissgrid, des Bundesamts für Energie (BFE) und auch des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Diese treten an der Bundesrat heran und machen ihm einen Vorschlag. Der Bundesrat entscheidet dann, ob diese Verordnung in Kraft gesetzt wird oder nicht. Das ist analog dazu, was wir bereits in der Covid-Krise gesehen haben. Sobald die Verordnung in Kraft ist, heisst es nicht, dass es bereits Abschaltungen gibt. Das letzte Wort in Absprache mit den genannten Stakeholdern hat der Fachbereich Energie der wirtschaftlichen Landesversorgung. Die Entscheidung über eine Abschaltung kann dann ohne weitere Konsultation von Bundesrat oder Parlament relativ kurzfristig getroffen werden.

Welche Bereiche des täglichen Lebens wären von Netzabschaltungen besonders betroffen?

Die einfache Antwort: Alles wäre betroffen, denn praktisch alles braucht Strom. Das Licht ist aus, Backen oder Kochen mit Strom geht nicht mehr, der Telefonanschluss funktioniert nicht mehr, mit dem Lift kann man nicht mehr fahren. Auch der Mobilfunk im betroffenen Gebiet funktioniert nach einer Stunde nicht mehr, weil die Mobilfunkmasten nur eine beschränkte Batteriekapazität haben. Die Signalisation im Verkehr ist ausgefallen, und auch der öffentliche Verkehr dürfte in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieselbusse und Elektrobusse würden wohl noch eine gewisse Zeit fahren.

Das ist keine abschliessende Aufzählung, aber viel wichtiger ist wohl, dass auch die lokalen Heizungen nicht mehr funktionieren. Neben den Elektroheizungen wie Wärmepumpen sind auch Öl- und Gasheizungen elektrisch gesteuert. Die einzige Ausnahme sind wohl Holzcheminées oder Holzöfen, die man manuell befeuern muss.

Der Bund plant, die kritische Infrastruktur von Netzabschaltungen auszunehmen, sofern das technisch möglich ist. Ist es denn technisch möglich?

Das kommt sehr darauf an, wie das lokale Netz ausgebildet ist. Aus meiner Erfahrung ist das technisch in den meisten Fällen nicht ganz so einfach möglich. Diese Organisationen brauchen eine eigene Anschlussleitung mit einem separaten Transformator, der den Storm liefert. Anders funktioniert das nicht. Typischerweise sind wir etwa in einer Stadt in einen Netzbereich eingebunden. So wird etwa ein ganzes Quartier von einem Transformator gespiesen. Wenn sie dieses Stadtgebiet abschalten, dann hat auch die Organisation keinen Strom mehr.

In der Verordnung steht jedoch auch, dass es denkbar ist, dass solche Gebiete von den Abschaltungen ausgenommen werden. Jene Verbraucher, die nicht zur kritischen Infrastruktur gehören, wären aber trotzdem angehalten, keinen Strom zu beziehen. Wie genau dies in der Praxis laufen soll, wird man sehen.

Das Gespräch führte Sabina Hübner.

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Aus dem Archiv: Der Notfallplan im Falle einer Strommangellage
Aus Tagesschau vom 23.11.2022.
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Tagesschau, 24.11.2022, 19:30 Uhr;

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