- Ekel ist anerzogen, nicht genetisch verankert, sagt Verhaltensforscher Sebastian Berger.
- Ekel lässt sich überwinden – und überlisten. Zum Beispiel mit einem hohen Preis, der hohe Qualität suggeriert.
- Frauen sind wesentlich schwieriger von Insektenfood zu überzeugen als Männer.
Ein FAO-Bericht von 2013 zählt mehr als 1900 essbare Insektenarten. Derzeit ernähren sich davon weltweit geschätzte zwei Milliarden Menschen. Vor allem in Asien, Afrika, Mittel- und Südamerika sind Insekten schon seit Jahrtausenden wichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung.
Dabei werden sie keineswegs nur in der Not gegessen, wenn keine andere Nahrungsquelle zur Verfügung steht. In manchen Kulturkreisen werden die geschmackvollen Tiere gar als hochpreisige Spezialität gehandelt.
Am häufigsten gegessen werden Käfer, gefolgt von Schmetterlingsraupen sowie Ameisen, Bienen und Wespen. Je nach Insektenart kommen vorzugsweise Larven, Puppen oder die ausgewachsenen Tiere auf den Tisch. Übrigens auch in unseren Breitengraden: In Deutschland und Frankreich wurde noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Maikäfersuppe serviert.
Gewöhnungsbedürftige Delikatessen aus aller Welt
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Bild 1 von 10. Afrika, Südamerika, Asien: Gegrillter Skorpion. Gewöhnungsbedürftig, aber nicht mehr giftig: Skorpion vom Grill gilt als Delikatesse. Er schmeckt zäh, bitter und leicht ranzig. Die Giftblase wird vor dem Verzehr entfernt. Bildquelle: imago.
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Bild 2 von 10. Kambodscha: Gegrillte Tarantel. In Kambodscha werden gegrillte Taranteln in vielen Orten als Snack angeboten. Sie sollen nicht nur knusprig und nach irgendetwas zwischen Hühnchen und Kabeljau schmecken, sondern auch die Potenz steigern. Bildquelle: imago.
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Bild 3 von 10. China: Urineier. In der ostchinesischen Provinz Dongyang gibt es eine besondere Delikatesse: Eier werden stundenlang in Urin gekocht – vorzugsweise dem höchstens zehnjähriger Knaben. Bildquelle: imago.
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Bild 4 von 10. Rund um die Welt: Gekochter Schafskopf. In Norwegen beispielsweise, in Island, Russland, Bolivien, afrikanischen Ländern oder Israel kommt gekochter Schafskopf auf den Tisch – ursprünglich ein Arme-Leute-Essen. Bildquelle: imago.
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Bild 5 von 10. Island: Hákarl (Gammelhai). Not macht erfinderisch: Der Grönlandhai ist an sich ungeniessbar, erst die Fermentierung macht in essbar. Dazu wird der Hai in einer Kiesgrube eingegraben und dort je nach Jahreszeit zwischen sechs Wochen und drei Monaten liegen gelassen, bis er verzehrreif ist. Bildquelle: imago.
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Bild 6 von 10. China: Tausendjährige Eier. 1000 Jahre haben die Eier zwar nicht auf dem Buckel, aber immerhin drei Monate lang reifen die rohen Eier – meist Enteneier – in einer Gewürzmischung. Danach sind sie bis zu drei Jahre haltbar. Bildquelle: imago.
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Bild 7 von 10. Südamerika: Asado con cuero. Sicher nichts für Vegetarier, dafür sehr ehrlich ist der Anblick der südamerikanischen Grillade: Hier wird das Fleisch an der Haut gegrillt. Bildquelle: imago.
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Bild 8 von 10. Osttimor, Vietnam: Kopi Luwak. Diese Kaffeesorte wird aus den Exkrementen einer Schleichkatzenart hergestellt. Sie frisst die Früchte der Kaffeepflanze, scheidet die Bohnen wieder aus. Sie werden dann gewaschen und leicht geröstet. Bildquelle: imago.
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Bild 9 von 10. Südostasien: Balut. Die angebrüteten Enten- oder Hühnereier werden vor allem in Vietnam, Kambodscha, den Philippinen und Laos gekocht und verzehrt. Dafür eignen sich Eier ab dem 14. Bruttag – ab dann ist der Embryo gut erkennbar. Bildquelle: imago.
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Bild 10 von 10. Sardinien: Casu Marzu . Der überreife Schafskäse bleibt so lange liegen, bis sich Maden in ihm wohlfühlen, die die Käsefliegen in ihm abgelegt haben. Der Name ist dabei Programm: Er bedeutet «verdorbener Käse». Durch Verdauungsprozesse der Maden erhält der Käse sein deftiges Aroma und seine Cremigkeit. Die Maden werden mitgegessen. Bildquelle: Von Shardan.
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- Vorspeise: Salat mit grillierten Heuschrecken
- Hauptgang: Insekten-Burger
- Dessert: Schokoladeküchlein aus Mehlwurmmehl mit Vanilleglace und ganzen Mehlwürmern als Topping
Verhaltenswissenschaftler und Ekel-Forscher Sebastian Berger von der Universität Bern ist überzeugt, dass unsere Vorbehalte Insekten gegenüber weder angeboren noch in den Genen verankert sind. Anders als zum Beispiel die Angst vor Schlangen, die uns ja tatsächlich gefährlich werden können.
«Ich glaube, dass der wesentliche Grund für den Ekel vor Insekten darin besteht, dass wir diese mit Verdorbenem assoziieren. Bei einem Kadaver sehen wir zum Beispiel auch Insekten», meint Berger. Daraus entstehe der Eindruck, dass Insekten unsauber seien.
Verdorbenes und Kadaver sind aber auch jenen rund zwei Milliarden Menschen nicht fremd, die regelmässig Insekten konsumieren.
Anerzogen, nicht angeboren
Sebastian Berger ist deshalb überzeugt, dass die Bereitschaft, Insekten zu essen, anerzogen und kulturell bedingt sein muss: «Wenn sich Kinder hier Insekten in den Mund stecken, erleben sie, wie angewidert ihr Umfeld reagiert. So lernen sie von klein auf, dass das etwas Ekliges ist. Das heisst, wir erziehen unseren Kindern quasi an, was eklig ist und was köstlich.»
Bei 10 bis 20 Prozent aller Menschen ist die Neugier stärker als die Vorbehalte dem Unbekannten gegenüber. Wie der Verhaltensforscher in diversen Versuchen feststellte, sind Frauen übrigens wesentlich schwieriger von Insektenprodukten zu überzeugen als Männer.
Sachliche Information über Zucht, Haltung und Verarbeitung der Insekten hilft. Und interessanterweise senkt auch ein hoher Preis die Hemmschwelle. Denn was teuer ist, muss ja von besonderer Qualität sein und entsprechend schmecken.
Den Ekel überwinden
Der Ekel lässt sich aber auch aus eigenem Antrieb überwinden: «Sieht man andere Leute ein Insektenprodukt konsumieren, sinkt das gefühlte Risiko, dass es etwas Schlimmes ist und man greift auch zu», weiss Sebastian Berger. «Das ist beim Insektenkonsum nicht anders als bei allerhand anderen menschlichen Verhaltensweisen.»
Nicht zuletzt ist schliesslich auch entscheidend, wie viel «Insekt» dem Insektenprodukt anzusehen ist. Je weniger, desto grösser die Bereitschaft, in einen Insekten-Burger zu beissen.
Ekel-Forscher Berger blickt dem europaweit ersten legalen Feldversuch mit Insektenprodukten freudig entgegen: «Ich bin gespannt, wie die Schweizerinnen und Schweizer ab dem 1. Mai reagieren werden!»