10 Jahre Arabischer Frühling - Regierungskritik zwischen Überwachung und Fake News
«Facebook-Revolution»: So wurden die Proteste des Arabischen Frühlings vor zehn Jahren auch oft genannt. Wie wichtig die Rolle der sozialen Medien damals tatsächlich war, ist heute umstritten. Doch sie jagten den Autokraten in der Region Angst ein.
In Syrien liess Bashar al-Assad 2011 in einer ersten Reaktion auf die Proteste des Arabischen Frühlings das Internet und das 3G-Mobilfunknetz abschalten, und die Facebook- und Twitter-Aktivistinnen und -Aktivisten verhaften. Dann wurden seine Leute selbst aktiv in den sozialen Medien – und sind es bis heute. Damit ist die Regime-Kritik zwar nicht verstummt. Nur bewirkt sie kaum noch etwas.
Soziale Medien waren für Syrerinnen und Syrer von Anfang an ein zweischneidiges Schwert. Das sagt Ammar Hamou. Der 35-jährige syrische Digitaljournalist ist leitender Redaktor beim unabhängigen Online-Nachrichten-Portal Syria Direct und lebt in Jordanien.
«Am Anfang trugen die sozialen Medien zur Verbreitung der Ideen des Arabischen Frühlings bei: Die Menschen in Syrien äusserten mutig ihre Meinung, ihre Kritik. Aber dann nutzte die Regierung die sozialen Medien zur Verbreitung von Falschmeldungen und diskreditierte die Demonstrierenden», sagt der syrische Journalist.
Fünf Jahre lang war Facebook in Syrien gesperrt. Dann, im Februar 2011 – noch bevor die Massenproteste richtig begannen –, kündigte der syrische Präsident Bashar al-Assad ein Ende des Facebook-Verbots an. Was zunächst nach mehr Freiheit aussah, entpuppte sich als das Gegenteil: Assads Geheimdienste nutzten soziale Medien, um die Demonstrierenden im Internet zu überwachen. Ammar Hamou erzählt, was seinem Cousin 2011 widerfuhr. «Zu Beginn der Proteste schrieb mein Cousin seine Gedanken dazu auf Facebook. Der Geheimdienst spürte ihn auf und liess ihn verhaften.»
«Alle wissen es, aber niemand sagt es»
Damals, 2011, hatten nur gerade 17 Prozent der syrischen Bevölkerung Zugang zum Internet – heute ist es knapp die Hälfte. Facebook, Whatsapp und Youtube sind die beliebtesten sozialen Medien. Trotz Zensur und drastischer Strafen: Die digitale Kritik an der Regierung ist bis heute nicht verstummt. Häufigstes Thema ist die miserable Versorgungslage – selbst Brot ist in Syrien knapp, und deshalb rationiert, auch in den Gebieten, die von Bashar al-Assad kontrolliert werden. Die Bevölkerung kann nur bei bestimmten Bäckereien Brot holen und muss dafür lange anstehen.
Der Arabische Frühling
Der Journalist Ammar Hamou verweist auf ein Bild, das unlängst via Facebook weit über Syrien hinaus verbreitet wurde: Es zeigt Menschen in einem Käfig, die auf Brot warten wie Tiere auf Futter – das suggeriert die Bildlegende. Nur angedeutet wird ein Grund für die Brot-Knappheit: die Korruption. «Alle wissen, wer für die grassierende Korruption verantwortlich ist: Bashar al-Assad. Aber sie beschuldigen den Besitzer der Bäckerei. Oder sie fragen: Wer ist schuld an der Korruption?»
Zwischen Angst und Anpassung
Manchmal sei jedoch unklar, woher solche Kritik stamme, sagt der Journalist. Als Beispiel nennt er ein Youtube-Video des berühmten syrischen Schauspielers Bashar Ismail. Der Schauspieler war bis zum Beginn der Proteste ein Kritiker Assads, dann wechselte er die Seiten. Nun aber, im September, kritisierte er plötzlich die Korruption und den Zerfall der Landeswährung, auf die alle doch einst so stolz gewesen seien.
Das Video von Ismail
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Der syrische Schauspieler Bashar Ismail ist eigentlich als Assad-Unterstützer bekannt. In einem
Video
kritisierte er ihn im September aber indirekt mit einer Geschichte über einen trägen Hahn, der sich vor lauter Luxus nicht mehr ums Land kümmert.
Auch der Schauspieler nannte al-Assad nicht namentlich. Und seine Regierungskritik verwirrte: Hatte der Assad-Anhänger wieder die Seite gewechselt? Oder war die Kritik nur vorgetäuscht – ein Propagandamanöver, um den Leuten das Gefühl zu geben, jemand lasse da stellvertretend für sie Dampf ab?
Es gibt ein Echo, aber das Echo geht nicht hinaus, es kommt einfach wieder zurück.
Der Journalist Ammar Hamou sagt: Bei den sozialen Medien in Syrien wisse man so etwas nie. Selbst bei den Leuten, die einem nahe stünden, wisse man nicht genau, auf welcher Seite sie jetzt stünden. Als Beispiel nennt er seinen Cousin, der 2011 wegen regierungskritischen Facebook-Posts im Gefängnis war und später als Soldat in Assads Streitkräfte eingezogen wurde:
«Als er im Rebellengebiet war und wir uns über Whatsapp sahen und hörten, trug er die typische Rebellen-Kleidung und einen Bart. Als die Regierungstruppen das Rebellengebiet einnahmen, war er in Armeeuniform, rauchte Shisha und redete wie ein Alawite, also wie Assads Leute.»
«Es ist wie reden in einem Zimmer»
«Aktivisten stecken in einem ständigen Dilemma, wie sie sich auf den sozialen Medien präsentieren sollen», sagt Ammar Hamou. Die Angst zwinge sie zur Anpassung – auf jeden Fall äusserlich. Sein Cousin sei dem Gefängnis zwar entkommen, aber drei seiner Brüder hätten die Folterkammern nicht überlebt.
«Stell dir vor, in welchem Widerspruch mein Cousin lebt: Traumatisiert vom Tod seiner Brüder, jetzt bei den Regierungsstreitkräften, immer mit der Angst, abgehört zu werden – sodass er nicht einmal mir gegenüber frei reden kann.»
«Die Regierungskritik verhallt einfach»
Die Rebellen böten kaum eine Alternative zum Regime in Damaskus, meint der Journalist. Zu extrem – oder schlicht ohne Ahnung, wie sie einen besseren, freieren Staat aufbauen könnten. Syrien steckt fest – und daran werden die sozialen Medien nichts ändern, sagt Ammar Hamou.
«Die Meinungsäusserungsfreiheit auf den sozialen Medien ist keine echte Freiheit. Entweder sie wird beschnitten oder, wenn man alles sagen darf, weiss man nicht mehr, was wahr ist und was nicht», sagt er. Damit verhalle die Regierungskritik einfach. «Reden in den sozialen Medien ist wie reden in einem Zimmer», sagt der Journalist Ammar Hamou. «Es gibt ein Echo, aber das Echo geht nicht hinaus, es kommt einfach wieder zurück.»
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