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15 Hinrichtungen an einem Tag Ägypten vollstreckt immer mehr Todesurteile

Menschenrechtsorganisationen machen sich Sorgen. Vor zwei Wochen wurden an einem Tag 15 politische Gefangene getötet.

Man muss in Ägypten keine Straftat begangen haben, um zum Tode verurteilt zu werden. Manchmal reicht es schon, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Das sagt Hussein Baoumi, der für Amnesty International Menschenrechtsverletzungen in Ägypten ermittelt. «Im letzten Monat gab es Proteste wegen der Verschlechterung der Wirtschaftslage, da hat die Polizei Hunderte von Menschen verschleppt.» Einige von ihnen seien Passanten gewesen, die nur zufällig an den Protesten vorbeigegangen seien.

Sie seien an unbekannte Orte gebracht, gefoltert und dann dem Richter vorgeführt worden. Obwohl Zivilpersonen eigentlich vor zivile Gerichte gestellt werden müssten, landeten viele stattdessen vor dem Militärgericht, das unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi mehr Macht erhalten hat.

«Terrorismus» steht für jegliche Regierungskritik

«Oft dürfen sie gar keinen Anwalt nehmen, es gibt unfaire Massenprozesse, Geständnisse werden mit Folter erzwungen und am Schluss werden sie zum Tod verurteilt und hingerichtet», sagt Baoumi. Zum Tod verurteilt würden die meisten wegen Terrorismus. Der Begriff umfasse jegliche Art von Kritik an der Regierung. Ins Visier der Sicherheitsbehörden gerieten Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten, Anwältinnen und sogar medizinisches Personal, das Missständen im Gesundheitswesen zu kritisieren wage.

2500 Todesurteile in sechs Jahren, das sind fünfmal mehr als in den von Terroranschlägen geprägten 1990er Jahren unter dem später gestürzten Autokraten Hosni Mubarak. Baoumi von Amnesty beobachtet unter al-Sisi eine Häufung von Hinrichtungen im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen. «Wenn bei einem Anschlag oder einer Demonstration Polizisten oder Soldaten umkommen, gibt es Hinrichtungen. Das macht uns Sorgen, weil die Regierung mit den Hinrichtungen zeigt: Es geht nicht um Recht, sondern um Rache.»

Damit schüchtere der Staatsapparat die gesamte Bevölkerung ein. «Die erschreckende Botschaft ist: Jeder und jede kann ohne fairen Prozess hingerichtet werden.» Seit 2017 ist Ägypten in einem Ausnahmezustand, der seither immer wieder verlängert wird. Als Begründung dafür diene jetzt auch die Coronakrise. «Die Regierung hat Corona unter anderem dazu benutzt, um Familienangehörigen Gefängnisbesuche zu verbieten», sagt Baoumi.

Kein Kontakt zu Insassen wegen Coronakrise

Da Telefongespräche zwischen Gefangenen und ihren Familien in Ägypten verboten seien, komme das Besuchsverbot einer Informationssperre gleich: Über die entsetzlichen Zustände in ägyptischen Gefängnissen könnten die Gefangenen nun nicht mehr berichten. «In ägyptischen Gefängnissen sterben Menschen, weil ihnen medizinische Betreuung verweigert wird. Indem Familienangehörige keinen Kontakt mehr haben dürfen mit Insassen, verstummt die Kritik an den Zuständen in den Gefängnissen.»

Amnesty International kann längst nicht mehr in Ägypten arbeiten: Dass sie zu Informationen über die schweren Menschenrechtsverletzungen in Ägypten kommt, verdankt sie mutigen Aktivistinnen und Aktivisten, die dafür ihr Leben riskieren. Von Ländern, die wirtschaftliche Beziehungen zu Ägypten pflegen, wünscht sich Baoumi mehr Engagement für diese Menschen.

Dies, indem sie die Menschenrechtsverletzungen nicht einfach nur am Rande von Gesprächen mit der Regierung erwähnen, sondern direkt und unmissverständlich ansprechen.

Rendez-vous, 14.10.2020, 12:30 Uhr

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