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17 Monate Haft in Belarus Hersche: «Die Freilassung war eine schöne Überraschung für mich»

  • Die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin Natallia Hersche ist nach 17 Monaten Haft in Belarus um 17.30 Uhr in Zürich gelandet.
  • Sie wurde am Flugzeug vom stellvertretenden Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Johannes Matyassy, empfangen.
  • «Ich fühle mich gut», sagte Hersche vor den Medien in Zürich, und: «Ich bereute nichts.»
  • Hersche war nach einer Kundgebung gegen das Lukaschenko-Regime am 19. September 2020 verhaftet worden.

Auch der ehemalige Schweizer Botschafter in Belarus, Claude Altermatt, hat Natallia Herscheam Flughafen Zürich empfangen. Er und Matyassy haben ihr Blumen und Schokolade übergeben und hiessen sie in der Schweiz willkommen. Hersche hat sich darauf bei ihnen bedankt.

Es waren ganz normale weissrussische Haftbedingungen.
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«Ich fühle mich gut», sagte Hersche vor den Medien. Sie bereue nichts. «Emotional und physisch geht’s mir gut.» Sie sei am Morgen im Gefängnis von Mogiljow im Osten von Belarus geweckt worden. «Fünf Minuten zum Essen und fünf Minuten zum Anziehen», sei ihr gesagt worden. Danach wurde sie in die Hauptstadt Minsk gefahren.

Sie habe ganz normale weissrussische Haftbedingungen erlebt und sei regelmässig in Kontakt mit der Schweizer Botschaft gestanden. «Die Freilassung war eine schöne Überraschung für mich. Denn ich war bereit, zweieinhalb Jahre abzusitzen», sagt Hersche. «Mir wurde immer wieder angeboten, ein Begnadigungsgesuch zu stellen. Aber das könnte ich nicht, da ich mich nicht anlügen kann.»

Natallia Hersche mit Johannes Matyassy vom EDA und Ex-Botschafter Claude Altermatt (r.).
Legende: Natallia Hersche mit Johannes Matyassy vom EDA und Botschafter Claude Altermatt (r.). Keystone

Kein «Deal» zwischen Bern und Minsk

Es habe keinen «Deal» gegeben zwischen Belarus und der Schweiz für die Freilassung von Hersche, betonte Matayssy. Minsk habe keine Bedingungen gestellt, und die Freigelassene könne jederzeit nach Belarus einreisen.

Der Freilassung seien intensive und sich über fast eineinhalb Jahre dauernde Bemühungen des EDA und dessen Vorstehers Ignazio Cassis vorangegangen, hiess es in einer Mitteilung des Departements.

Seit der Festnahme im September 2020 und der Verurteilung seien die zuständigen Stellen in engem Kontakt mit ihr, ihrer Familie und den Behörden in Belarus gewesen. Man habe an allen möglichen Wegen gearbeitet, um eine Freilassung zu erwirken.

Demnach wurde Hersche im Rahmen des konsularischen Schutzes betreut. Vertreter der Schweizer Botschaft in Minsk hätten sie 14 Mal besucht.

Bei Kundgebung gegen Lukaschenko verhaftet

Hersche, eine gebürtige Belarussin, die in der Schweiz lebt, hatte am 19. September 2020 in Minsk an einer Kundgebung gegen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko teilgenommen und war dabei verhaftet worden.

Harte Zeiten für Lukaschenko-Gegner

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Lukaschenko in Uniform an einem Schreibtisch.
Legende: Reuters

Die Freilassung Hersches bedeutet keineswegs, dass die Opposition in Belarus jetzt mit Tauwetter rechnen kann. «Im Gegenteil: Menschenrechtler zählen derzeit die Rekordzahl von 1100 politischen Gefangenen in Belarus», weiss die SRF-Regionenexpertin Judith Huber. In letzter Zeit seien sogar Personen verhaftet worden, die sich in sozialen Medien kritisch zum Verfassungsreferendum äusserten, über welches das Volk bald abstimmen soll.

«In einem unfairen Schauprozess» – wie Schweizer Menschenrechtsorganisationen schrieben – wurde Hersche im Dezember 2020 zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Was hat die neue Botschafterin beigetragen?

Eine Rolle könnte bei der jetzigen Freilassung Hersches die Neubesetzung des Botschafterpostens durch Honegger Zolotukhin gespielt haben, die erst seit diesem Monat in Belarus weilt.

Der Hintergrund: Honegger Zolotukhin wird dem legitimen Staatsoberhaupt von Belarus bald ihr Beglaubigungsschreiben überreichen – und das wird Lukaschenko sein. «Für viele Oppositionelle und die politischen Gefangenen ist das eine Beleidigung», sagt dazu SRF-Auslandredaktorin Judith Huber.

Für Lukaschenko dagegen kommt dies einer Anerkennung durch ein westliches Land gleich. «Er wird das entsprechend propagandistisch ausschlachten», vermutet Huber. Übrigens streitet das EDA ab, dass durch das Beglaubigungsschreiben Lukaschenko anerkannt werde. Die Schweiz anerkenne Staaten, nicht Regierungen, verlautete aus dem Departement.

SRF4 News, 18.2.2022, 10 Uhr ; 

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