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20 Jahre Bologna-Reform: Ernüchternde Bilanz
Aus Echo der Zeit vom 29.10.2019. Bild: Keystone
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20 Jahre Bologna-Reform Hochschulen ziehen eine ernüchternde Bilanz

Experten fordern ein Umdenken bei der Bologna-Reform. Das vernetzte Denken müsse wieder stärker im Fokus stehen.

Ein Hochschulraum für Europa mit vergleichbaren Studiengängen und mehr Austausch von Studierenden zwischen den Hochschulen: Das waren die Ziele der Bologna-Deklaration, welche die Schweiz vor 20 Jahren unterzeichnet hat und welche die Hochschullandschaft bis heute prägt.

Bologna-Reform

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Bologna brachte den Hochschulen die neuen Abschlüsse Bachelor und Master. Für diese hatten die Studierenden eine vorgeschriebene Anzahl Punkte zu erreichen, woraus sich in etwa die Studiendauer ergab. Das Punkte-System sollte einen Wechsel erleichtern - von Fach zu Fach, aber auch zwischen den verschiedenen Hochschulen, in der Schweiz und in Europa.

Die Reaktionen sind gemischt. Bei den damals neuen Fachhochschulen gab es Zweifel. Doch heute zieht Crispino Bergamaschi ein positives Fazit. Er vertritt die Fachhochschulen in der Hochschullandschaft Schweiz: «Die Fachhochschulen haben die Bologna-Reform als Chance gesehen und auch genutzt. Sie haben das Studium ganz neu gedacht, noch stärker auf die Bedürfnisse der Arbeitswelt ausgerichtet, modularisiert und damit auch individualisiert.»

Studierende an den Fachhochschulen würden heute Teile der Ausbildung im Ausland machen, weil der Austausch vereinfacht wurde. Die Rückmeldungen aus der Praxis seien positiv, so Bergamaschi. Er ist zudem Direktions-Präsident der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Universitätssaal.
Legende: Die Bologna-Reform brauche Änderungen, meinen viele Experten. Keystone

Weniger positiv beurteilt dies Toni Schmid, Geschäftsführer vom Verband der Fachhochschul-Absolventinnen und -Absolventen. Es sei schwieriger geworden, dass Studierende nach dem Bachelor das Fach oder die Hochschule wechseln könnten.

Schmid kritisiert darüber hinaus, dass die Fachhochschulen den Universitäten nicht gleichgestellt seien und fügt als Beispiel an, dass nur Universitäten Doktorate vergeben können.

«Die Studiendauer hat sich stark verlängert»

Noch kritischer bewerten Universitätsvertreter die Bologna-Reform. An der Universität Basel bilanziert etwa Ökonomie-Professor Bruno S. Frey: «Die Studiendauer hat sich stark verlängert, die Abbruchquote hat eher zugenommen. Die Bilanz ist ernüchternd.»

Nur das Ziel der internationalen Mobilität sei erreicht. Studierende können leichter Universitäten im Ausland besuchen. Ein Austausch, wie ihn auch die Fachhochschulen feststellen.

«Minimalisten gab es schon immer»

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Legende: Keystone

«Die Bologna-Reform muss weiterentwickelt werden, die erste Version war nicht perfekt», findet auch Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident der Schweizer Hochschulrektorenkonferenz Swissuniversities.

Vernetzes Denken sei in einer modularisierten Welt schwierig. Die Dozierenden müssten sich mehr damit auseinandersetzen, was vorher und nachher gelehrt werde. «Da sind auch die Dozierenden in der Pflicht».

Bologna-Reform: Bedeutet das Punkte sammeln und Teilwissen anzueignen, anstatt die Gesamtübersicht zu bekommen? «Minmalisten gab es schon immer», betont Hengartner. Aber mit dieser kleinen Zerstückelung des Angebots sei es möglicherweise einfacher, ein solcher zu sein. «Menschen glauben, dass die Studenten-Legi wie eine Cumuluskarte funktioniert. Wenn man 300 Punkte darauf hat, hat man sich den Bachelor und den Master angeeignet». Diese Leute seien aber fehl am Platz.

Frey kritisiert ausserdem, dass das vernetzte Denken abhanden gekommen sei. Studierenden würden sich statt auf Inhalte, auf die erforderlichen Punkte konzentrieren. Diese Kritik ist so alt wie die Reform. Denn Bologna brachte an den Universitäten mehr Struktur, besonders in den Fächern der geistes-, sozialwissenschaftlichen und juristischen Fakultäten.

Verschlechterung bei Juristen

Vorbehalte gibt es auch in der Praxis – bei Anwaltsbüros und Gerichten. Am Bezirksgericht Frauenfeld zum Beispiel meint Präsident Rudolf Fuchs: «Ich habe den Eindruck, dass Studienabgänger im Jus-Bereich früher einen besseren Gesamtüberblick hatten.»

Unter Bologna werden verschiedene Fächer in den ersten Jahren abgeschlossen und bis zum Studienende nicht mehr thematisiert. Doch die Kritik wurde erhört: als grösste juristische Fakultät der Schweiz reformiert jene der Universität Zürich ihre Ausbildung bis in zwei Jahren grundlegend.

Fokussierung auf Kernkompetenzen

Dabei soll der praxisrelevante Pflichtstoff besser auf Bachelor- und Master-Stufe aufgeteilt werden, wie der zuständige Professor Alain Griffel erklärt. Zudem fokussiere die Reform auf Kernkompetenzen. «Die Fähigkeit zur Textanalyse, die Schreibkompetenz, logisches Denken und Schreiben, die Anwendung der juristischen Methodik und das vernetzte Denken sollen gefördert werden.»

Der Wechsel zum Bologna-System habe damals zügig vorangehen müssen, erklärt Griffel. Nun aber brauche es Korrekturen.

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