Darum geht es: Knapp acht Monate nach der Festnahme und Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu hat die Staatsanwaltschaft bis zu 2352 Jahre Haft für den populären Oppositionspolitiker gefordert. Die Opposition hatte bereits mit einem hohen Strafmass für Ekrem Imamoglu gerechnet. Viel überraschender ist aber: Die Staatsanwaltschaft regt nun, gestützt auf die Anklage Imamoglus, ein Verbot der Oppositionspartei CHP an.
Das sind die Vorwürfe an die CHP: Die istanbuler Staatsanwaltschaft wirft der Oppositionspartei CHP illegale Parteifinanzierung und Wahlmanipulation vor. Die Partei habe ausserdem gegen den Wählerwillen gehandelt. Die CHP sei damit eine Gefahr für die Demokratie. Die Staatsanwaltschaft von Istanbul meldet ihren Verdacht gegen die CHP nun der Generalstaatsanwaltschaft in Ankara. Diese entscheidet, ob ein Verbotsverfahren eingeleitet werden soll.
Wird die CHP nun verboten? Thomas Seibert, Journalist in der Türkei, sagt gegenüber SRF, er halte es für unwahrscheinlich, dass die CHP verboten wird. «Am Ende ist wohl die Drohung die Botschaft und ich glaube nicht, dass die Regierung die CHP wirklich verbieten möchte», so Seibert. In den vergangenen Monaten gab es mehrere Anläufe der regierungstreuen Justiz, die derzeitige Parteiführung abzusetzen und eine regierungsfreundlichere Parteispitze durchzusetzen.
Das ist ein Versuch der Regierung, die CHP weiterhin in der Defensive zu halten und unter Druck zu setzen.
Diese Versuche sind aber gescheitert. Die Drohung mit einem Verbotsverfahren sei nun der nächste Schritt. «Das ist ein Versuch der Regierung, die CHP weiterhin in der Defensive zu halten und unter Druck zu setzen.»
CHP im Aufschwung: Die Partei CHP war 2024 überraschend als landesweit stärkste Kraft aus den Kommunalwahlen hervorgegangen – was viele als mögliche Vorstufe zu einer Ablösung der AKP-Regierung von Präsident Erdogan deuteten. Imamoglu ist ein aussichtsreicher Herausforderer von Präsident Erdogan.
Seither steht die säkular ausgerichtete CHP unter Druck. Bisher wurden Hunderte ihrer Mitglieder festgenommen und 17 ihrer Bürgermeister verhaftet. Die Regierung weist Kritik an dem Vorgehen zurück und bezeichnet die Justiz im Land als unabhängig. Internationale Organisationen und auch die EU-Kommission stellen dies allerdings infrage.
Die Anklageschrift: Die Anklage wirft Imamoglu jetzt unter anderem Gründung und Leitung einer kriminellen Vereinigung sowie Bestechung und Geldwäsche vor, wie die Istanbuler Staatsanwaltschaft mitteilte. Die Annahme der Anklageschrift durch das Gericht gilt als Formsache.
Der Sender CNN Türk berichtete, die Anklageschrift sei 3900 Seiten lang und umfasse insgesamt 402 Verdächtige. Ein Anwalt der Partei Imamoglus sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Anschuldigungen seien völlig haltlos. Er erwarte einen Freispruch am Ende des Verfahrens. Politisch sei die Anklage und die hohe Haftstrafe als Versuch der Regierung zu werten, den eigenen Leuten zu zeigen «Seht mal was das für ein Halunke das ist, so einem Mann kann man das Land nicht anvertrauen», so Seibert. Die absurde Zahl der 2352 Jahren Haft sei Ausdruck der Taktik der Regierung, nichts Gutes an der Opposition zu lassen.