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40. Jahrestag der Revolution «Ideologie der Islamischen Republik zieht im Iran nicht mehr»

Im Iran laufen die Feiern zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution. Doch vielen Menschen ist nicht nach Feiern zumute. Der wirtschaftliche Zerfall des Landes treffe die Bevölkerung hart, sagt Iran-Korrespondentin Natalie Amiri.

Natalie Amiri

Journalistin und Nahost-Expertin

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Die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri ist internationale Korrespondentin bei der ARD. Zuvor war sie fünf Jahre lang Studioleiterin der ARD in Teheran.

SRF News: Pünktlich zum 40. Jubiläum der Islamischen Revolution hat der Iran Mittelstreckenraketen getestet. Wie bewerten Sie das?

Natalie Amiri: Es ist nicht nur ein Signal nach aussen, sondern inzwischen auch eines nach innen, an die eigene Bevölkerung. Denn innerhalb der Bevölkerung herrscht immer mehr die Angst vor einem Krieg. Man möchte damit zeigen: Wir können uns verteidigen. Das System versucht, zum 40. Jahrestag der Revolution Stärke darzustellen. Es sagt damit, egal ob wir jetzt sanktioniert werden oder von aussen bedroht, oder ob wir in der Region viele Feinde haben: Wir sind stark, wir sind selbstständig, wir können für uns sorgen. Es wurde viel gemacht, um diese Stärke zu demonstrieren.

Lässt sich die iranische Bevölkerung davon überhaupt beeindrucken?

Immer weniger. Die Ideologie der Islamischen Republik funktioniert nicht mehr; sie zieht nicht mehr innerhalb der Bevölkerung, weil diese wirklich gravierende Probleme hat in ihrem alltäglichen Leben. Dabei spreche ich gar nicht von Freiheit, denn Freiheit kennt sie seit 40 Jahren nicht. Es geht nicht darum, ob sie Partys feiern können oder nicht, sondern es geht darum: Wie bekomme ich noch essen auf den Tisch? Denn die Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren in eine massive Armutsspirale begeben, die gerade noch einmal einen Drall bekommen hat durch den Ausstieg der Amerikaner aus dem Atomabkommen. Das hat jegliche Hoffnung im Keim erstickt.

Es ist viel passiert im wirtschaftlichen Leben der Menschen, und es ist ihnen einfach egal, ob vor 40 Jahren Ayatollah Khomeini kam oder nicht.

Es kam zu einem gravierenden Währungsverfall um 70 Prozent. Die offizielle Inflationsrate liegt jetzt bei 18,4 Prozent. Vor einem Jahr lag sie unter zehn Prozent. Es ist viel passiert im wirtschaftlichen Leben der Menschen, und es ist ihnen einfach egal, ob vor 40 Jahren Ayatollah Khomeini kam oder nicht.

Wie wichtig ist den Jungen im Iran dieser Jahrestag überhaupt?

Ich kann fast mit Sicherheit sagen, dass er überhaupt nicht wichtig ist. Natürlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die bei den staatlich organisierten Grossdemonstrationen auftauchen müssen. Das sind Staatsbedienstete. Aber der Grossteil der jungen Bevölkerung hat damit gar nichts zu tun. Sie haben überhaupt kein Interesse mehr an der Ideologie der Islamischen Republik. Eigentlich wollen sie Teil der Welt sein.

Ein Run aufs Ausland hat begonnen, weil die Jungen die Hoffnung auf eine Zukunft im eigenen Land komplett verloren haben.

Man hat in den letzten Jahren auch einen massiven «Brain Drain» verspürt. Jeder junge Mensch, dem ich begegne, hat den Wunsch aus diesem Land zu gehen, egal auf welchem Weg. Sei es über die Flüchtlingsroute oder über Stipendien an Universitäten. Ein Run aufs Ausland hat begonnen, weil man die Hoffnung auf eine Zukunft im eigenen Land komplett verloren hat.

Sie haben in einem Bericht von einer dramatischen Verarmung der Mittelschicht gesprochen. Wie sehr wird sie in Mitleidenschaft gezogen?

Es kursieren Zahlen, wonach 40 Prozent unter der Armutsgrenze leben. Das ist natürlich verheerend für ein Land, das im Vergleich dazu vor 40 Jahren eine extrem breite und gesunde Mittelschicht hatte, die sich Urlaube leisten konnte, die sich einfach ein gutes Leben leisten konnte. Dabei waren das ja eigentlich auch die Versprechen der Islamischen Republik damals: Die Armen wieder hochzuziehen und in die Gesellschaft zu integrieren. Aber was passiert ist, ist, dass die Mittelschicht in die Armut abgerutscht ist.

Das Gespräch führte Barbara Peter.

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