Watergate teilt die Zeit in den USA in ein Vorher und Nachher. Es ist der Moment, in dem das Vertrauen der Amerikanerinnen und Amerikaner in ihre Regierung und ihre Politiker zerbricht. Und nie wiederkehrt.
Das Vermächtnis des Einbruchs von fünf Männern mit Verbindungen ins Weisse Haus ins Hauptquartier der demokratischen Partei im Watergate-Bürokomplex ist bis heute spürbar. Denn der darauffolgende Skandal, in dessen Zentrum zunehmend Präsident Richard M. Nixon gerät, und an dessen Ende der bisher einzige Rücktritt eines amerikanischen Präsidenten steht, hat die amerikanische Politik und die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber ihren Politiker:innen grundlegend verändert.
Heute vor 50 Jahren: Ein Skandal erschüttert die US-Politik
Mit der Präsidentschaft von Donald Trump erhält Watergate zudem eine neue Dringlichkeit. Denn die Bilder von den Anhörungen des Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses, der seit einer Woche die versuchte Verweigerung der Amtsübergabe durch Donald Trump und den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 untersucht, gleichen in frappanter Weise denjenigen der Watergate-Anhörungen. Und auch die Aussagen tönen so, als lägen keine 50 Jahre zwischen Watergate und heute.
Zum Beispiel dann, wenn Bennie Thompson, der demokratische Vorsitzende des aktuellen Untersuchungsausschusses, die öffentliche Anhörung einleitet mit den Worten: «Das mindeste, das wir von Leuten in öffentlichen Ämtern erwarten können, ist, dass sie den Willen des Volkes akzeptieren.»
Vom Machtmissbrauch Nixons zum Machtmissbrauch Trumps
Auch wenn die Geschichten von Richard Nixon und Donald Trump zwei gänzlich unterschiedliche Geschichten sind, sind die Parallelen zwischen den beiden Präsidenten unübersehbar: Beide waren beziehungsweise sind rücksichtslos. Sie verfolg(t)en eine Politik, der es einzig darum geht, zu gewinnen, was immer es koste. Und im Kern ihrer Persönlichkeit steht eine autoritäre Haltung, die vor kriminellen Aktionen nicht zurückschreckt, um an die Macht zu kommen oder um an der Macht zu bleiben.
«Viele sehen Watergate als einen stümperhaften Einbruch in das Hauptquartier der Demokraten, gefolgt von stümperhaften Vertuschungsversuchen, die am Ende den Präsidenten seine Präsidentschaft gekostet haben. Aber das ist nicht das wirklich Wichtige an Watergate» sagt John Dean, er war damals Rechtsberater von Präsident Nixon, als die Watergate-Affäre begann.
Nixon hat seine Macht als Präsident missbraucht. Das ist der Kern von Watergate.
«Was Watergate wirklich ans Licht befördert hat, ist, dass das Weisse Haus unter Nixon seine Macht missbrauchte. Nixon hat seine Macht also als Präsident missbraucht. Das ist der Kern von Watergate.»
Und das ist der Grund, weshalb sich John Dean 50 Jahre später in einem Hotelzimmer in New York vor unsere Kamera setzt und redet: «Wir schauen heute auf Watergate mit dem Wissen um die Präsidentschaft von Donald Trump und ihrem massiven Machtmissbrauch. Das macht es so wichtig, die Watergate-Geschichte heute wieder in Erinnerung zu rufen.»
Fatale Lageeinschätzung im Weissen Haus
John Dean ist in der Nacht auf den 17. Juni 1972 gerade auf dem Rückweg von einer Reise nach Manila. Als er bei der Zwischenlandung in San Francisco seinen Stellvertreter anruft, um ihm mitzuteilen, dass er nach der Überquerung von zwei Datumsgrenzen innerhalb von 48 Stunden in San Francisco bleiben wolle, um auszuschlafen, teilt ihm dieser mit, dass seine Vorgesetzten ihn suchen würden. «Ich fragte: weshalb? Er antwortete mir: Jemand hat Blödsinn gemacht im Hauptquartier der Demokraten.»
Doch Dean ist zunächst wenig beunruhigt. Auch das Weisse Haus nicht: «Ich denke nicht, dass irgendjemand im Weissen Haus Nixons verstand, was für eine gefährliche Situation dieser Einbruch hervorrief.»
Allmählich dämmert es Dean. Er versucht Nixon zu warnen: «Ich sagte dem Präsidenten, dies werde ein Krebsgeschwür für seine Präsidentschaft. Ich erklärte ihm auch, weshalb. Aber ich merkte, dass ich ihn nicht überzeugte. Da sagte ich ihm geradeheraus: Mister President, dafür werden Leute ins Gefängnis wandern. Er schaute mich an und fragte: was für Leute? Und ich sagte: Leute wie ich!» Doch Präsident Nixon will nichts davon wissen und leugnet wider besseres Wissen jede Beteiligung oder Mitwisserschaft am Einbruch und den darauffolgenden Vertuschungsversuchen. Nixon erklärt öffentlich: «Ich war weder Teil einer Vertuschung, noch habe ich davon gewusst.»
Doch genau das ist falsch. Nixon ist zutiefst verstrickt in die Vertuschungsaktionen, weist seine Berater sogar an, den Einbrechern Schweigegeld zu bezahlen. In Washington beginnen die Schuldzuweisungen. Das Time-Magazine stellt Nixon als das Zentrum dar, das von nichts gewusst haben will. Um ihn herum seine Berater – auch John Dean.
Der verweigerte Sündenbock
Am Ende ist es Dean, der vor dem Ausschuss, der die Affäre untersucht, den Bann bricht. In einer Anhörung wird Dean gefragt: «Denken Sie, dass der Präsident wusste, welche juristischen Auswirkungen diese Vertuschungsversuche hatten?» Dean versucht zunächst auszuweichen: «Ich kann nicht in den Kopf des Präsidenten schauen…» Doch die Ermittler lassen nicht locker: «Anhand der Tatsachen, von denen sie uns zuvor berichtet haben…?» «Anhand der Tatsachen, von denen ich diesem Ausschuss berichtet habe, kann ich davon ausgehen, dass der Präsident mit Sicherheit verstand, was für rechtliche Probleme vorliegen.»
Dean weiss genau, was er mit seiner Aussage tat: «Ich hatte nicht Angst davor, dass sie mich zum Sündenbock machen wollten. Ich habe mich schlicht geweigert, der Sündenbock zu sein. Ich habe die Vertuschung auf die nächste Ebene gehievt. Aber ich habe sie nicht davonkommen lassen.»
Immer mehr Fakten dringen an die Öffentlichkeit. Am Ende entdecken die Ermittler ein ganzes System von Abhöranlagen, mit denen Präsident Nixon im Geheimen Gespräche aufzeichnen lässt. Auch seine eigenen. Als der Oberste Gerichtshof den Präsidenten zwingt, die Tonbänder, die alles aufgezeichnet haben, auszuhändigen, ist dies der Anfang vom Ende von Präsident Nixon.
Der Unterschied zwischen Nixon und Trump
John Dean, der ehemalige Rechtsberater von Präsident Nixon, zieht eine direkte Linie vom Machtmissbrauch von damals zum Machtmissbrauch unter Präsident Trump: «Die Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar sind ausserordentlich wichtig. Wenn sie es nicht schaffen, der amerikanische Öffentlichkeit klarzumachen, dass etwas sehr Beunruhigendes mit unserer Demokratie vor sich geht, dann ist das Land in Gefahr. Dann ist die Welt in Gefahr. Ich weiss nicht, wie es ausgehen wird. Aber ich weiss genug über unser Staatswesen, um mir Sorgen zu machen.»
Nixon hatte ein Gewissen, Trump nicht.
Der Unterschied zwischen Nixon und Trump sei, so sagt Dean, dass Nixon am Ende doch ein Gewissen gehabt habe. Als der Oberste Gerichtshof von Nixon verlangt habe, die Tonbänder auszuhändigen, habe dieser verstanden, dass er dies tun müsse: «Ich sah keine Verfassungskrise während Watergate. Aber ich sehe eine Verfassungskrise mit Donald Trump. Wäre Trump in der Situation von Nixon gewesen, ich bin mir sicher, er hätte die Tonbänder nicht herausgerückt.»
Der Mann, der im Zentrum der Nixon-Affäre stand, ist besorgt darüber, dass sich autoritäres Verhalten erneut Bann bricht. Wie damals, bei Watergate.