Zahlreiche Mythen ranken sich um Europa: Die EU habe absurde Vorschriften erlassen, sie sei ein bürokratischer Koloss und in vielen Ländern kursieren unsinnig hohe Zahlen, was die EU den einzelnen Bürger koste. Im Dickicht von Behauptungen und realen Fehlleistungen hat eine nüchterne und ernsthafte Betrachtung der EU einen schweren Stand.
60 Jahre sind seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vergangen. Aus der damaligen Wirtschaftsgemeinschaft EWG mit sechs Ländern ist eine politische Union mit 28 Ländern – nach dem Brexit bald nur noch 27 – geworden.
Bei aller berechtigter Aufmerksamkeit für aktuelle Krisen und strukturelle Probleme wird allerdings oft übersehen, dass die «europäische Idee» in den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten noch immer starken Rückhalt hat. Sechs von zehn Europäern glauben noch immer, dass die EU eine Zukunftsperspektive für die Jugend ist ( Eurobarometer im Auftrag der EU-Kommission, Oktober 2016).
Jugend hofft auf EU
Befragt man vor allem die junge Generation, wie es das Projekt «Generation What?» europaweit gemacht hat, zeigt sich, dass viele junge Europäer durchaus ein differenzierteres Bild zur EU haben als in der jetzigen Stimmung gemeinhin angenommen wird.
Sie haben die Vorteile von Personenfreizügigkeit, Reisefreiheit und Mobilität schätzen gelernt. Gut eine halbe Million Menschen zwischen 18 und 34 haben bis heute im Rahmen dieser nicht repräsentativen Umfrage zu Europa Stellung genommen. So sehen die meisten jungen Menschen die Europäische Gemeinschaft als sinnvoll oder zumindest als notwendiges Konstrukt.
Dies zeigen auch Umfragen, welche die Korrespondenten von #SRFGlobal in Italien, Ungarn und Deutschland gemacht haben. Die meisten Jugendlichen wollen, dass sich Europa weiterentwickelt und verbessert und wollen nicht den Stab über Europa brechen.
Der zunehmende Nationalismus wird kritisch beurteilt, ein junger Student in Italien sagt dazu: «Er ist eine Zuflucht, um sich nicht den wahren Problemen stellen zu müssen.» Und ein anderer: «Ich habe Angst, dass uns diese Bewegungen in die Vergangenheit zurückwerfen und wieder zu Kriegen und Tragödien vergangener Zeiten führen könnten.»
Eine Angst, die Guy Verhofstadt, der Vorsitzende der «Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa» im EU-Parlament am 1. Februar 2017 an der Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes ungewöhnlich deutlich und scharf aussprach. «Nationalismus und Populismus, das hatten wir schon im 20. Jahrhundert in Europa. Menschen, die glaubten, Nationalismus und Populismus, seien für unseren Kontinent die Lösung. Und sie verursachten die schrecklichsten Gräueltaten, die wir je gesehen haben.»
Aber Populisten und EU-Kritiker mit ähnlich scharfen Worten anzugehen, wie diese selbst die EU kritisieren, kann nicht die Lösung sein. Auf zu viele Fragen fehlen zurzeit die Antworten. Vielen Europäern geht die Migration zu weit, ist die Freizügigkeit zu weitgehend. Vielen macht das wacklige Euro-Konstrukt nach wie vor Angst und sie ärgern sich darüber, dass Ländern der Zugang zum Euro gewährt wurde, die dafür eigentlich nicht bereit waren.
Ähnlich sieht dies auch EU-Korrespondent Sebastian Ramspeck in #SRFglobal : «Der Euro ist das beste Beispiel für eine Schönwetterkonstruktion, die nicht funktioniert – und er ist der grösste Knackpunkt in der Europäischen Union. Man hat 19 Staaten, die mitmachen, die aber sehr unterschiedlich sind – von der Wirtschaftskraft und den Ansichten her, die man in diesen Ländern darüber hat, wie eine Wirtschaft richtig zu funktionieren hat. (..) Und über diese Länder würde eine gemeinsame Währung gestülpt.»
In der Krise zeigen sich laut Ramspeck die Mängel dieser Schönwetterkonstruktion: Die Länder können nicht mehr individuell reagieren, weil sie Teil eines grossen Währungsraumes sind und die EU verfügt nicht über die richtigen Instrumente, um wirkungsvoll zu agieren.
Gelingt in Rom der grosse Wurf?
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte am Mittwoch seine Pläne für die Zukunft der Europäischen Union nach dem Brexit vor.
Juncker präsentierte ein sogenanntes Weissbuch. Dieses enthält Reformvorschläge, die zur Vorbereitung einer Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel zu 60 Jahre Römische Verträge Ende März dienen sollen.
Der Gipfel von Rom soll die Ausrichtung der Europäischen Union über die kommenden zehn Jahre skizzieren. Gerade junge Menschen hoffen darauf, dass die EU Antworten auf die drängenden Fragen findet. Denn in einem Wahljahr, in dem in Frankreich, Holland und Deutschland EU-Gegner und nationalistische und populistische Bewegungen an die Macht drängen, braucht die EU dringend positive Signale.
Korrespondent Sebastian Ramspeck zweifelt daran, dass in Rom der grosse Durchbruch gelingen wird: «Alle sind sich einig, dass man die EU dringend reformieren muss, aber wohin die Reise gehen soll, darüber gibt es überhaupt keine Einigkeit und deshalb bin ich sehr skeptisch, ob es der EU wirklich gelingt, einen grossen Wurf zu machen.»