Angesichts der Gewalt im Nahen Osten geht fast vergessen, dass der Krieg in der Ukraine unvermindert weiterwütet. Zurzeit versucht Russland, die ukrainische Kleinstadt Avdiivka zu erobern. Ein Lagebild zum Kriegsgeschehen auf russischer und ukrainischer Seite mit dem SRF-Auslandredaktor und Russland-Experten David Nauer.
David Nauer
Ukraine- und Russland-Korrespondent
Wie verläuft die russische Offensive auf Avdiivka?
Die Kleinstadt Avdiivka ist schon länger von den Russen von drei Seiten eingekreist. Jetzt versucht die russische Armee, die Stadt ganz einzukesseln und schliesslich zu erobern. Wenn das gelänge, wäre das ein grosser symbolischer Erfolg für Moskau – und ein harter Schlag für die Moral der Ukrainer. Allerdings sind die russischen Angriffe bisher erfolglos. Die Russen haben Dutzende Fahrzeuge und viele Soldaten verloren. Trotzdem kam der recht massive Angriff der Russen für viele Beobachter überraschend. Der Eindruck von einer erschöpften Armee täuschte, die Russen haben noch Reserven und können angreifen.
Wie verläuft die ukrainische Offensive im Süden?
Die ukrainische Offensive im Süden der Front steckt fest. Die Ukrainer haben zwar die russische Hauptverteidigungslinie zum Teil durchbrochen, kommen aber seit Wochen nicht mehr weiter. Es gibt dauernd Gefechte, ohne dass sich die Front verschieben würde. Jetzt kommt bald der Winter, was ein Vorrücken weiter erschweren wird. Im Moment herrscht in der Ukraine ein grausames Patt bei anhaltenden Kämpfen mit täglich vielen Toten. Unter dem Abnützungskrieg leidet auch die ukrainische Zivilbevölkerung massiv.
Welche weitere Entwicklung ist wahrscheinlich?
Eine Bereitschaft zu Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine ist im Moment nicht sichtbar. Der Kreml hat nach wie vor das Ziel, grosse Teile der Ukraine kompromisslos zu erobern und zu unterwerfen. Die Ukrainer ihrerseits wollen ebenfalls weiterkämpfen und sämtlichen russischen Territorien befreien. Beide Seiten sind der Meinung, dass sie mit militärischen Mitteln erfolgreich sein werden. Im schlimmsten Fall kann es noch Jahre dauern, bis der Abnützungskrieg endet.
