Zwischen Februar und November 2020 hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Zustände in sechzehn ägyptischen Gefängnissen untersucht. Die Aussagen von Inhaftierten, ihren Angehörigen, Journalistinnen, Anwälten und medizinischem Personal sind erschütternd. Diese berichten von restlos überfüllten Zellen, mangelnder Hygiene und der Verweigerung von medizinischer Behandlung trotz der Ausbreitung von Covid-19.
Ein Quadratmeter pro Gefangenem
Über Belegungszahlen in den Gefängnissen geben die ägyptischen Behörden keine Auskunft. Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte schätzt, dass sich im April 2020 rund 114'000 Menschen in Haft befanden. Das sind rund doppelt so viele wie 2012, zwei Jahre vor dem militärischen Staatsstreich, mit dem sich Präsident Abdel Fattah Al-Sisi an die Macht putschte.
Rund die Hälfte aller Inhaftierter wartet seit Monaten oder gar Jahren auf einen Prozess. Darunter Tausende, die wegen Regierungskritik oder unliebsamer Berichterstattung festgenommen worden sind.
Amnesty International zur Situation in ägyptischen Gefängnissen
Die Haftanstalten seien komplett überfüllt, sagen Betroffene in drei Gefängnissen für Frauen und dreizehn für Männer, wie Amnesty International zusammengetragen hat. Sie berichten von Zellen, in denen Dutzende von Gefangenen so zusammengepfercht sind, dass dem einzelnen nur etwas mehr als ein Quadratmeter Platz bleibt: zu wenig, um sich zum Schlafen hinzulegen.
«Leben sind in Gottes Hand»
Von den 67 Gefangenen im Amnesty-Bericht sind zehn in der Haft gestorben und zwei kurz nach ihrer Freilassung. Alle litten an den katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Zellen und der willkürlichen Verweigerung von medizinischer Behandlung.
Eine inhaftierte Journalistin berichtet, wie sie zwei Wochen lang weder duschen noch ihre Kleider wechseln konnte. Andere Gefangene sprechen vom Mangel an sauberem Wasser, oder davon, wie sich mehrere Gefangene monatelang eine einzige Seife teilen mussten.
Schlechte oder zu wenig Nahrung, mangelhafte Belüftung, Feuchtigkeit und Kälte in den Zellen tragen zusätzlich dazu bei, dass Gefangene sogar todkrank werden. Im Bericht beschreibt ein ehemaliger Gefangener die Reaktion eines Gefängniswächters auf den Hilferuf für einen sterbenden Mitgefangenen: «Ihr seid doch Gläubige und wisst, dass Leben in Gottes Hand sind.»
«Staatsfeinde verbreiten Unwahrheiten»
Als die ersten Fälle von Corona in Gefängnissen an die Öffentlichkeit drangen, stritten die ägyptischen Behörden dies zunächst ab. Schliesslich reagierten sie darauf mit einem Verbot für Angehörige, Gefangene zu besuchen. Corona ist damit nicht aus den Gefängnissen verschwunden.
Wer in Ägypten die Zustände in den Gefängnissen kritisiert, riskiert selbst verhaftet zu werden. Denn für die ägyptische Regierung sind solche Berichte der böswillige Versuch von Staatsfeinden, Ägypten grundlos zu diskreditieren.
Amnesty International dokumentiert Fälle von Angehörigen, die eingeschüchtert, verprügelt oder ebenfalls verhaftet wurden, nachdem sie über die Haftbedingungen von Verwandten gesprochen hatten. Eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe, wie sie Amnesty fordert, haben die ägyptischen Behörden bisher verweigert.