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Angst im Baltikum «Russland ist keine Supermacht, aber ein Superproblem»

Russland hat die Krim annektiert. Seither haben auch die baltischen Staaten wieder Angst vor dem grossen Nachbarn.

Die Vorgeschichte

  • Von 1944 bis 1990 wurden die drei vormals unabhängigen baltischen Republiken (Litauen, Estland, Lettland) gegen den Willen des grössten Teils der Bevölkerung in die Sowjetunion integriert.
  • 1991, beim Zusammenbruch der Sowjetunion, erklärten die drei Länder ihre Unabhängigkeit.
  • 2004 traten die baltischen Staaten der Nato und der EU bei.

Riga ist im Westen angekommen. Burberry und Armani, Debenhams und Costa Coffee, sie alle sind längst hier. Und selbst an diesen kalten Spätnovemberabenden streifen Abend für Abend Horden von jungen Briten und andern Europäern betrunken durch die Altstadtgassen. Billigflüge und billiger Alkohol locken sie für Polterabende in die baltischen Hauptstädte.

Die Angst vor Russland ist geblieben

Zwei junge Letten sitzen auf einer Bank im Stadtpark. Zur Wahl Trumps in den USA sagen sie: «Vielleicht wird der neue US-Präsident uns weiterhin beschützen, vielleicht nicht.»

Vielleicht wird der neue US-Präsident uns weiterhin beschützen, vielleicht nicht.

Das zeigt: In einem Bereich fühlen sich viele Balten noch immer nicht ganz zugehörig, trotz Mitgliedschaft in der Nato. Und obschon die Militärallianz Anfang 2017 endlich die ersehnten je knapp tausend Soldaten in Estland, Lettland und Litauen stationiert.

Mehr als ein Stolperdraht für den Fall eines russischen Angriffs ist das nicht. Die Wirkung bleibt symbolisch. Doch gerade die Symbolik leidet nun, nachdem Donald Trump das US-Engagement in der Nato reduzieren und womöglich gar auf Kuschelkurs zum Kreml gehen will.

Auch der litauische Aussenminister macht sich Sorgen

Breit zitiert wird im Baltikum dieser Tage ein Interview des litauischen Aussenministers Linas Linkevicius gegenüber der BBC. Er mache sich zurzeit Sorgen, vor allem weil niemand wisse, wohin die US-Politik steuere.

Gewiss, Russland sei keine Supermacht, jedoch ein Superproblem. Moskau sei kein Partner, vielmehr ein Faktor, ein problematischer, sagt er.

Natürlich gibt es auch die Stimmen, die für ein Ende der Sanktionen gegen Moskau plädieren. Sie wollen das Verhältnis zum grossen Nachbarn entkrampfen, wie etwa der russischstämmige Bürgermeister von Riga. Doch diese Stimmen sind seltener, leiser.

Viele baltischen Politiker sind unschlüssig, wie dramatisch sie die Lage darstellen wollen. Alarmrufe bringen zwar mehr Nato-Unterstützung. Aber sie vertreiben zugleich ausländische Investoren, die nicht in unsicheren Staaten investieren wollen.

Kurs für den Umgang mit russischen Trollen

Dieser Propagandafeldzug treibt auch Inga Springe um. Sie gründete und leitet das baltische Zentrum für Recherchejournalismus.

Sie gibt einen Kurs über den Umgang mit Medien. Ein wichtiges Thema im Baltikum, angesichts des Einflusses russischer Staatsmedien, russischer Trolle und russischen Geldes. Trumps Nähe zu Wladimir Putin stimmt sie besorgt. Erstmals seit der russischen Annexion der Krim hätten viele Balten wieder Angst

Trump ist längst nicht das einzige Problem für die Balten. Zurzeit läuft auch auf der europäischen Bühne vieles gegen ihre Interessen. In Frankreich ist der dezidiert pro-russische François Fillon Favorit für die Präsidentschaft. In Bulgarien und Moldawien wurden eben pro-russische Staatschefs gewählt. Und Grossbritannien, aus Sicht der Balten der wichtigste Verbündete in der Nato, wendet sich mit dem Brexit von Europa ab.

Für Russland läuft es gut zurzeit

Ja, es laufe derzeit aus russischer Sicht nicht schlecht, bestätigt Janis Sarts, Ex-Staatssekretär im lettischen Verteidigungsministerium und heute Leiter einer Nato-Denkfabrik. Es gebe eine Welle, die Russland zwar nicht geschaffen habe, aber die es geschickt nutze. Nicht nur im Baltikum, auch in Finnland und Schweden beobachte man die politische Entwicklung intensiv.

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