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Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburg: Umgang mit Trauma spaltet Stadtbevölkerung

In der ostdeutschen Stadt Magdeburg ist nichts mehr, wie es war, seit ein Mann mit dem Auto in einen vollen Weihnachtsmarkt raste. Letzten Dezember tötete ein 50-Jähriger fünf Frauen und einen neunjährigen Jungen, über 300 Personen hat er verletzt. Wie geht es den Menschen heute?

«Wer sowas machen will, kommt überall durch. Egal, wie sie die Buden stellen», sagen drei Frauen, die sich den Aufbau des Weihnachtsmarkts ansehen. «Wir gehen trotzdem, wir lassen uns das nicht nehmen.»

Viele Magdeburgerinnen und Magdeburger aber meiden den Alten Markt sowieso schon grossräumig. Den Geruch von Glühwein werden manche nie mehr ertragen.

Weihnachtsmarktstände vor historischer Kirche und Gebäude.
Legende: Parallel zum Prozess gegen den mutmasslichen Täter wird die Tat politisch aufgearbeitet und der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Noch fehlt ihm die Genehmigung. SRF

 «Für die Hinterbliebenen und die Betroffenen ist das zu schnell, wie es jetzt läuft. Sie waren völlig ausser sich, als im März schon klar war, es würde wieder einen Weihnachtsmarkt geben – am selben Ort», sagt Notfallseelsorgerin Doreen Majchrzak.

Nie hätte sie gedacht, dass die Betroffenen so lange noch – neben Therapie – ihre Hilfe benötigen. Schockierend sei auch, dass die Gefahr des Täters trotz vieler Hinweise nicht erkannt worden war. Tatsächlich gab es Versäumnisse bei der Sicherheit.

Niemand übernimmt Verantwortung  

«Es ist ein bisschen Verschiebebahnhof», sagt CDU-Politiker Tobias Krull. Er sitzt im parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Person im Anzug sitzt an einem Tisch mit Mikrofon.
Legende: «Ein bisschen Verschiebebahnhof»: Tobias Krull, CDU-Landtagsabgeordneter aus Magdeburg, ist Mitglied im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. SRF/Simone Fatzer

Der Täter konnte viel zu leicht auf den Markt fahren. «Es gibt das Gefühl, dass die Verantwortung dafür zwischen Marktbetreiber, Stadt und Land hin- und hergeschoben wird», so Krull.

Kritik am Mammutprozess

Für den Prozess mit gegen 180 Nebenklägern musste eine provisorische Halle in Millionenhöhe gebaut werden. Der Täter bekomme zu viel Raum und das Geld würde die Stadt besser anders verwenden, ist die verbreitete Haltung.

Tobias Krull entgegnet, nicht für den Täter sei der Aufwand, er ermögliche vielmehr den Betroffenen einen würdigen Prozess und Rechtssicherheit.

Der saudische Täter passt nicht ins übliche Schema, sieht sich als Islamkritiker und AfD-Sympathisant. Dennoch setzten sich rassistische Pauschalisierungen in der Stadt fest.

Rassistische Übergriffe sorgten für ein Klima der Angst

«Nach Weihnachten versuchte ich, ein Taxi zu bestellen, ganz höflich. Da wurde ich angebrüllt und mit ‹Scheissausländer› beschimpft»: Ketevan Asatiani-Hermann kam 2011 zum Studieren nach Magdeburg. Erstmals erlebte sie Rassismus. Mit den Eltern in Georgien öffentlich zu telefonieren, brauchte Mut. Leute mit Migrationsgeschichte wurden in den Wochen nach dem Anschlag bedroht, angespuckt oder körperlich angegriffen.

Frau sitzt in Büro vor Landschaftsbild an Wand.
Legende: Sozialarbeiterin und Migrationsexpertin Asatiani-Hermann vor einem Bild ihrer Heimat Tiflis in Georgien. Sie hilft Jugendlichen bei der Integration in eine deutsche Ausbildung. SRF

Die Migrationsexpertin hilft Jugendlichen bei der Integration. Seit dem Anschlag habe es grosse Rückschritte gegeben: «Da haben wir viele mit Ach und Krach endlich vermittelt, und kurz vor Ende der Ausbildung überlegen sie sich wegzuziehen.»

Herausforderung Wahlkampf 2026

Die radikale Rechte hatte den Anschlag sofort zu instrumentalisieren versucht. Soziologe David Begrich beobachtet in Magdeburg längst eine Normalisierung rechtsextremer Deutungsangebote, denn hier würden viele mit wenig Geld leben, viele beschäftige die Inflation sowie etwa die Frage nach medizinischer Versorgung.

Dass nun 2026 Prozess und Untersuchungsbericht just in den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt fallen, bereitet manchen deshalb Sorgen.

Echo der Zeit, 10.11.2025, 18 Uhr

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