Nach dem Terroranschlag in Moskau sind weiter viele Fragen nach Tätern, Hintermännern und Motiven offen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Angriff auf die Konzerthalle für sich. Kremlchef Wladimir Putin hingegen behauptet, es gebe eine Spur, die in die Ukraine führe. Terrorismusexperte Peter Neumann deutet Putins Aussage als Versuch, von seinem eigenen Versagen abzulenken.
SRF: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Ukraine hinter dem Anschlag in Moskau steckt?
Peter Neumann: Das ist sehr unwahrscheinlich. Das sind Behauptungen, die sich mit den Interessen des russischen Präsidenten erklären lassen. Natürlich ist Wladimir Putin dieser Anschlag sehr unangenehm, auch politisch. Es gab ja Warnungen der USA, die Putin in die Luft geschlagen hat. Nun ist eine Situation da, in der er versuchen muss, diesen Anschlag politisch für ihn in eine richtige Richtung zu drehen. Da versucht er eben, das der Ukraine in die Schuhe zu schieben – auch um von seinem eigenen Versäumnis abzulenken. Er kandidiert seit 20 Jahren als einer, der die Russen vor Terrorismus beschützt. Da hat er ganz klar versagt.
Hat Russland die Warnungen der USA im Vorfeld also zu wenig ernst genommen?
Ich glaube schon. Das waren sehr konkrete Warnungen. Am 7. März kamen die Amerikaner mit einer Warnung, die sie auch auf der Webseite ihrer eigenen Botschaft veröffentlicht haben. Da stand drin, es gebe in den nächsten Tagen Anschläge auf grosse Ansammlungen von Menschen. Sogar Konzerte wurden konkret erwähnt.
Das lässt Putin sehr schlecht aussehen – ausser, es gelingt ihm, die Schuld für diese Anschläge in eine ganz andere Richtung zu drehen, nämlich in Richtung Ukraine.
Noch vor vier Tagen hat Wladimir Putin diese Warnungen im Prinzip lächerlich gemacht und gesagt, da sei nichts dran. Entweder haben also die russischen Sicherheitsbehörden nicht aufgepasst oder sind nicht kompetent genug, um diese Anschläge zu verhindern. In jedem Fall lässt das Putin sehr schlecht aussehen – ausser, es gelingt ihm, die Schuld für diese Anschläge in eine ganz andere Richtung zu drehen, nämlich in Richtung Ukraine.
Weshalb sind Sie überzeugt, dass das Bekennerschreiben des IS echt ist?
Bei der Überprüfung solcher Bekennerschreiben schaut man sich zuerst an, über welche Kanäle sie veröffentlicht wurden. Tatsächlich war es so, dass es über die offiziellen IS-Kanäle veröffentlicht wurde, mit denen der IS mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Das ist bereits ein deutlicher Hinweis. Was zudem gestimmt hat, ist die Sprache, also bestimmte Formulierungen, die immer vom IS verwendet werden. Natürlich auch der Kontext, die Art und Weise, wie dieser Anschlag durchgeführt wurde. All das passt zusammen. Bei der zweiten Nachricht des IS wurde sogar noch ein Foto der Attentäter gezeigt. Es gibt wirklich viele Hinweise darauf, dass dieses Bekennerschreiben echt ist und der IS tatsächlich diese Tat für sich reklamiert.
Ist die Terrorgefahr in Russland nun vorüber, oder ist mit weiteren ähnlichen Anschlägen zu rechnen?
Das, was da in Moskau geschehen ist, war schon relativ professionell. Auch der IS hat bekannt geben, dass das wahrscheinlich Wochen oder Monate in der Vorbereitung war. Es war also kein Einzeltäter, wie man das häufig in Westeuropa sieht, der da aus dem Nichts heraus vermeintlich einen Anschlag verübt hat.
Wenn ich in Russland für Sicherheit verantwortlich wäre, dann würde ich mir schon Sorgen machen.
Natürlich fragen sich nun wohl die russischen Sicherheitsbehörden, ob es da möglicherweise noch andere Zellen, andere Pläne gibt. Der IS-Ableger ISKP, der wahrscheinlich dafür verantwortlich war, ist eine Gruppe, die relativ professionell organisiert ist. Wenn ich in Russland für Sicherheit verantwortlich wäre, dann würde ich mir schon Sorgen machen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.