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Anstieg der Energiepreise Italiens Kunsthandwerk leidet unter der Energiekrise

Die berühmten Glasmanufakturen von Murano sind akut gefährdert – nach 800-jährigem Bestehen.

In Venedig ist Carnevale. Auf Murano geht auch ein Gespenst im Nebel um. Es ist das Gespenst vom Ende der 800-jährigen weltberühmten Glasmanufakturen. Beim grössten Glashersteller auf der Insel Effetre geht buchstäblich der Ofen aus. «Normalerweise haben wir 12 Öfen in Betrieb», sagt Eigentümer Christiano Ferro. «Jetzt läuft gerade mal einer, für einen Auftrag, der keinen Aufschub erlaubt.»

Murano-Glas braucht Gas

Glas braucht Gas, viel Energie und die Gaspreise explodieren buchstäblich. Noch im Juli hätten die monatlichen Gaskosten bei 39’000 gelegen. Im November habe er 160’000 Euro bezahlt, sagt Ferro. Und hätte er im Dezember nicht den Betrieb runtergefahren, wären die Kosten auf 220’000 Euro hochgeschnellt.

Glaskunst aus Murano

Normalerweise belaufen sich die Ausgaben für Gas auf 15 Prozent der Gesamtkosten, jetzt auf 110 Prozent. Nun leert Effetre das Lager. Ende Monat ist es leer. Bei diesen Preisen und der geringen Produktion gebe es keine Zukunft für das Glas aus Murano.

Vier Generationen Glaskünstler

Das Glas von Effetre nutzt die Firma Zanetti, um Pferde, Fische, Vögel und Lampen aus Glas herzustellen. Man hört geradezu, wie viel Energie ein Ofen bei über bei 1200 Grad verbraucht. Oscar Zanetti arbeitet hier seit 45 Jahren, es ist sein Leben, das Leben von vier Generationen Zanettis. «Das Ende der Firma Zanetti wäre das Ende einer 200-jährigen Geschichte», sagt Oscar Zanetti.

Und das Ende einer Tradition, die der Doge von Venedig 1292 von der Lagunenstadt aus Angst vor Bränden auf die Schwesterinsel Murano verlegt hatte. Der Geschäftsführer bei Zanetti, Damian Farnea kontrolliert alle fünf Minuten die Gaspreise auf seinem Handy,

Auch Zanetti zahle inzwischen das sechsfache fürs Gas. Die Region Veneto hat 3 Millionen Euro rückwirkend ab Oktober für die Glasmanufakturen auf Murano bereitgestellt. Doch das Geld ist Ende Monat aufgebraucht. Alternative Energien? Elektrizität zum Beispiel? Tja.

Hoffen auf Nordstream

40 Prozent der italienischen Energie basiere auf Gas, sagt Farnea und ein Drittel des Stroms wird ebenfalls aus Gas produziert. Gleichzeitig importiert Italien 95 Prozent des Gases, ein Grossteil aus Algerien und Russland. In Italien hofft man auf ein friedliches Ende des Ukrainekonflikts, auf Nordstream 2 und ein Sinken des Gaspreises. Auch Damian Farnea.

Zanetti kann vielleicht überleben, denn seine Kunden kaufen teure Luxusgüter. 12'000 Euro für eine grosse blaue Vase, sagt ein Preisschild in einem Schaufenster. Aber wie lange noch? Wie soll Venedig die berühmten Glasleuchter und -Tiere verkaufen, wenn sie nicht mehr aus Murano stammen?

Murano ist das vielleicht eindrücklichste Beispiel für eine der schwersten Energiekrisen Italiens seit den 1970er Jahren. Aber bei weitem nicht das einzige. Nach Angaben des Industrieverbands Confindustria ist der Strompreis binnen eines Jahres um 450 Prozent gestiegen; die Energiekosten der Unternehmen werden von 8 Milliarden im Jahr 2019 auf 37 Milliarden Euro in diesem Jahr steigen, schätzt der Verband. Und auch die Menschen spüren die Krise deutlich.

Der italienische Staat hilft – aber zu wenig

11 Milliarden Euro hat der Staat für Einkommensschwache und Betriebe zur Linderung der Energiepreise bereitgestellt. Aber das reicht nicht. Viele Städte schalten aus Protest die Beleuchtung berühmter Kulturdenkmäler ab. Murano ist in dieser Energiekrise ein besonders drastisches Beispiel. «Wir riskieren, alles zu verlieren», sagt Damian Farnea, Geschäftsführer beim Glashandwerksfirma Zanetti.

SRF 1, 21.02.2022, 16:40 Uhr

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