Zum Inhalt springen

Antikorruptionsgesetz Klatsche für Selenski – die Hintergründe

Mit einer Gesetzesänderung wollte Wolodimir Selenski wichtige Anti-Korruptionsbehörden unter die Kontrolle des Generalstaatsanwalts stellen. Damit wären diese indirekt unter die Kontrolle der Regierung geraten. Nun macht er auf heftigen öffentlichen Druck hin das rechtsstaatlich bedenkliche Vorhaben rückgängig. Ein Blick auf die Klatsche für Selenski mit Ukraine-Korrespondent David Nauer.

David Nauer

Ukraine- und Russland-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

David Nauer ist Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF TV. Von 2016 bis 2021 war er als Radio-Korrespondent in Russland tätig. Zuvor war er Russland-Korrespondent des «Tages-Anzeigers». Nauer reist seit Beginn des russischen Angriffskriegs regelmässig in die Ukraine.

Hier finden Sie weitere Artikel von David Nauer und Informationen zu seiner Person.

Wie gross ist die Kehrtwende von Selenski?

Selenski hat den beiden wichtigsten Antikorruptionsbehörden erst die Unabhängigkeit genommen – und nun will er sie ihnen wieder zurückgeben. Es ist eine totale Kehrtwende. Die Regierung soll damit künftig doch nicht mitbestimmen können, gegen wen diese Behörden wegen Korruption ermitteln dürfen. Selenski macht also sein ursprüngliches Gesetz wieder rückgängig.

Was sagt der Rückzieher über Selenski aus?

Dieser Kehrtwende zeigt, dass Selenski eben kein Diktator ist, der einfach machen kann, was er will. Er muss auf die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung und auch auf die westlichen Unterstützerstaaten Rücksicht nehmen. Wegen des ursprünglichen Gesetzes hatte es erstmals seit Kriegsbeginn Demonstrationen gegen die Regierung gegeben. Die Ukrainerinnen und Ukrainer lassen ihrer Regierung nicht alles durch. Es gibt eine aktive Zivilgesellschaft, die Widerstand leistet, wenn sich der Präsident zu selbstherrlich aufführt. Die Ukraine ist viel demokratischer als etwa Russland, wo die Bevölkerung alles hinnimmt, was aus dem Kreml kommt.

Wie rasch wird das Gesetz nun wieder geändert?

Selenski hat das neue Gesetz am Donnerstag ins Parlament geschickt. Dieses ist aber in der Sommerpause. Aus Regierungskreisen heisst es, das Gesetz soll rasche beschlossen werden. Doch dazu müssten die Parlamentsmitglieder extra nach Kiew bestellt werden. Wir rasch also die Gesetzesänderung erfolgt, ist noch unklar. Das ist heikel, denn ukrainische Aktivistinnen und Aktivisten bestehen darauf, dass das neue Gesetz so schnell wie möglich beschlossen wird. Ihre Befürchtung ist, dass die Regierung, je länger es dauert, noch allfällige Korruptionsverfahren gegen eigene Leute unter den Tisch wischen könnte. Es bleibt also abzuwarten, wie ernst es Selenski und seinen Leuten mit der Kehrtwende ist.

Hätte Selenski den Widerstand nicht ahnen können?

Es ist tatsächlich schwer erklärbar, warum Selenski seinen politischen Instinkt derart verloren hat. Möglicherweise dachten er und seine Leute, dass es niemand merkt, wenn er im Sommer im Hauruckverfahren die Antikorruptionsbehörden demontiert. Aber eben: Die ukrainische Gesellschaft schaut genau hin, und auch die europäischen Partner der Ukraine unterstützen das Land nicht einfach blind im Krieg gegen Russland. Sie fordern, dass sich Kiew an Grundwerte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hält. 

Wie stark hat das Vertrauen in den Staat gelitten?

Das ursprüngliche Gesetz war ein Schlag für das Vertrauen in die ukrainische Regierung. Da nun Selenski auf die Kritik der Bevölkerung reagiert hat, dürfte dieses Vertrauen weitgehend wiederhergestellt sein. Vorausgesetzt, das neue Gesetz wird vom Parlament tatsächlich zügig verabschiedet.

SRF 4 News aktuell, 25.07.2025, 06:45 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel